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Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802

Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802

Titel: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johann Gottfried Seume
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man habe noch eine Matratze gebraucht und sie aus dem Bette neben mir mit dem Hauptschlüssel abgeholt. Hätte ich nun die Sache nicht gründlich erfahren, wer weiß, was ich mir noch für Einbildungen gemacht hätte.
    Jetzt ist meine Seele voll von einem einzigen Gegenstande, von Canovas Hebe. Ich weiß nicht, ob Du die liebenswürdige Göttin dieses Künstlers schon kennst; mich wird sie lange, vielleicht immer beherrschen. Fast glaube ich nun, daß die Neuen die Alten erreicht haben. Sie soll eins der jüngsten Werke des Mannes sein, die ewige Jugend. Sie steht in dem Hause Albrizzi, und der Besitzer scheint den ganzen Wert des Schatzes zu fühlen. Er hat der Göttin einen der besten Plätze, ein schönes, helles Zimmer nach dem großen Kanal angewiesen. Ich will, ich darf keine Beschreibung wagen; aber ich möchte weissagen, daß sie die Angebetete der Künstler und ihre Wallfahrt werden wird. Noch habe ich die Mediceerin nicht gesehen; aber nach allen guten Abgüssen von ihr zu urteilen, ist hier für mich mehr, als alle
Veneres Cupidinesque
.

    Ich stand vom süßen Rausche trunken,
    Wie in ein Meer von Seligkeit versunken,
    Mit Ehrfurcht vor der Göttin da,
    Die hold auf mich herunter sah,
    Und meine Seele war in Funken;
    Hier thronte mehr als Amathusia.
    Ich war der Sterblichkeit entflogen,
    Und meine Feuerblicke sogen
    Aus ihrem Blick Ambrosia
    Und Nektar in dem Göttersaale,
    Ich wußte nicht, wie mir geschah;
    Und stände Zeus mit seinem Blitze nah,
    Vermessen griff ich nach der Schale,
    Mit welcher sie die Gottheit reicht,
    Und wagte taumelnd jetzt vielleicht
    Selbst dem Alciden Hohn zu sagen,
    Und mit dem Gott um seinen Lohn zu schlagen. –

    Du denkst wohl, daß ich bei dem marmornen Mädchen etwas außer mir bin; und so mag es allerdings sein. Der Italiener betrachtete meine Andacht ebenso aufmerksam wie ich seine Göttin. Diese einzige Viertelstunde hat mir meine Reise bezahlt; so ein sonderbar enthusiastischer Mensch bin ich nun zuweilen. Es ist die reinste Schönheit, die ich bis jetzt in der Natur und in der Kunst gesehen habe, und ich verzweifle, selbst mit meinem Ideale höher steigen zu können. Ich muß Canovas Hände küssen, wenn ich nach Rom komme, wo er, wie ich höre, jetzt lebt. Das goldene Gefäß, die goldene Schale und das goldene Stirnband haben mich gewiß nicht bestochen; ich habe bloß die Göttin angebetet, auf deren Antlitz alles, was der weibliche Himmel Liebenswürdiges hat, ausgegossen ist. In das Lob der Gestalt und des Gewandes will ich nicht eingehen; das mögen die Geweihten tun. Alles scheint mir des Ganzen würdig.
    In dem nämlichen Hause steht auch noch ein schöner Gipsabguß von des Künstlers Psyche. Sie ist auch ein schönes Werk; aber meine Seele ist zu voll von Hebe, um sich zu diesem Seelchen zu wenden. In dem Zimmer, wo der Abguß der Psyche steht, sind rund an den Wänden Reliefs in Gips von Canovas übrigen Arbeiten: eine Grablegung des Sokrates durch seine Freunde; die Szene, wo der Verurteilte den Becher nimmt; der Abschied von seiner Familie; der Tod des Priamus nach Virgil; der Tanz der Phäazier in Gegenwart des Ulysses, wo die beiden tanzenden Figuren vortrefflich sind; und die opfernden Trojanerinnen vor der Minerva, unter Anführung der Hekuba. Alles ist eines großen und weisen Künstlers würdig; aber Hebe hat sich nun einmal meines Geistes bemächtiget und für das übrige nichts mehr übriggelassen. Wenn der Künstler, wie man glaubt, nach einem Modell gearbeitet hat, so möchte ich für meine Ruhe das Original nicht sehen. Doch, wenn dieses auch ist, so würde seine Seele gewiß es erst zu diesem Ideal erhoben haben, das jetzt alle Anschauer begeistert.
    Da meine Wohnung hier nahe am Markusplatz ist, habe ich fast stündlich Gelegenheit, die Stellen zu sehen, auf welchen die berühmten Pferde standen, die nun, wie ich höre, den konsularischen Pallast der Gallier bewachen sollen. Sonderbar! Wenn ich nicht irre, erbeuteten die Venetianer, in Gesellschaft mit den Franzosen, diese Pferde nebst vielen andern gewöhnlichen Schätzen. Die Venetianer ließen ihren Verbündeten die Schätze und behielten die Pferde; und jetzt kommen die Herren und holen die Pferde noch. Wo ist der Bräutigam der Braut, der jährlich sein Fest auf dem Adriatischen Meere feierte? Die Briten gingen seit ziemlich langer Zeit schon etwas willkürlich und ungebührlich mit seiner geliebten Schönen um, und nun ist er selbst an der Apoplexie gestorben, und ein Fremder nimmt

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