Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
als man anfing, ihn ins Arabische zu übersetzen, war er vermutlich schon so verstümmelt, wie wir ihn jetzt haben. So stelle ich mir die Sache vor. Und gesetzt, die wichtigsten Bruchstücke fänden sich noch irgendwo in einem seltenen Exemplar unter einem Aschenhaufen des Vulkans, so kannst Du, aus der Analogie der neuen Herrscher mit den alten, ziemlich sicher darauf rechnen, daß wir die Schätze doch nicht erhalten werden; zumal bei dem erneuerten und vergrößerten Argwohn, der seit einigen Jahrzehnten zwischen den Machthabern statthat. Wenn ich mich irre, soll es mir lieb sein, denn ich wollte drei Fußreisen von der Elbe an den Liris machen, um dort von dem Livius den Spartakus zu lesen, den ich für einen der größten und besten römischen Feldherren zu halten in Gefahr bin.
Unter diesen Überlegungen, deren Konsequenz ich Dir überlasse, wandelte ich die Straße nach Rovigo fort. Diese Seite von Venedig ist nicht halb so schön als die andere von Treviso nach Mestre; die Überschwemmungen mit dem neuen Regenwasser hatten die Wege traurig zerrüttet, und ich zog sehr schwer durch den fetten Boden Italiens weiter. Überall war der Segen des Himmels mit Verschwendung über die Gegend ausgeschüttet, und überall war in den Hütten die jämmerlichste Armut. Vermutlich war dies noch mit eine Folge des Krieges. Nicht weit von Montselice kehrte ich zu Mittage an der Straße in einem Wirtshause ein, das nicht die schlimmste Miene hatte, und fand nichts, durchaus nichts als etwas Wein. Ich wartete eine halbe Stunde und wollte viel zahlen, wenn man mir aus den benachbarten Häusern nur etwas Brot schaffen könnte. Aber das war unmöglich; man gab mir aus Gutmütigkeit noch einige Bissen schlechte Polenta, und ich mußte damit und mit meinem Schluck Weins weitergehen.
Vor Rovigo setzte ich über die Etsch und trat in das Zisalpinische. Der kaiserliche Offizier jenseits des Flusses, der meinen Paß mit aller Schwerfälligkeit der alten Bocksbeutelei sehr lange revidierte, machte mir bange, daß ich diesseits bei dem französischen Kommandanten wohl Schwierigkeiten finden würde. Als ich zu diesem kam, war alles gerade das Gegenteil. Er war ein freundlicher, jovialischer Mann, der mir den Paß, nach einem flüchtigen Blick auf mich und auf den Paß, ohne ihn zu unterschreiben, zurückgab. Ich machte ihm darüber meine Bemerkung, daß er nicht unterschriebe.
»Vous n'en avez pas besoin«;
sagte er. »
Vous venez de l'autre côté?« – »Je viens de Vienne et je m'en vais par Ferrare à Ancone.« – »N'importe,«
versetzte er;
»allez toujours. Bon voyage!«
Die Höflichkeit des Franzosen, die ich gegen die Nichthöflichkeit des Präsidenten in Wien und des Polizeiherrn in Venedig hielt, tat mir sehr wohl. Rovigo war die erste eigentlich italienische Stadt für mich, denn Triest und Venedig und die übrigen Örter hatten alle noch so etwas Nordisches in ihrer Erscheinung, daß es mir kaum einfiel, ich sei schon in Italien. Weder hier noch in Lagoscuro noch in Ferrara fragte man mich weiter nach Pässen, ob ich gleich überall starke französische Besatzungen fand. Vor meinem Fenster in Rovigo stand auf dem Platze der große Freiheitsbaum mit der Mütze auf der Spitze, und gegenüber in dem großen Kaffeehause war ein starkes Gewimmel von Italienern und Franzosen, die sich der jovialen Laune der Ungebundenheit überließen. Aber alles war sehr anständig und ohne Lärm.
Ich muß Dir bekennen, daß mir dieses heitere, kühne Wesen gegen die stille, bange Furchtsamkeit in Wien und Venedig sehr wohl gefiel, und daß ich selber etwas freier zu atmen anfing, so wenig ich auch eben diese Freiheit für mich behalten und sie überhaupt den Menschenkindern wünschen möchte. Das Wasser hatte hier außerordentlichen Schaden getan, wie Du gewiß schon aus öffentlichen Blättern wirst gehört haben; vorzüglich hatte der sogenannte
canale bianco
seine Dämme durchbrochen und links und rechts große Verwüstungen angerichtet. Es arbeiteten oft mehrere hundert Mann an den Dämmen und werden Jahre arbeiten müssen, ehe sie alles wieder in den Stand setzen. Hier sah man empörende Erscheinungen der Armut in einem ziemlich gesegneten Landstriche; und ich schreibe dieses auch mit dem Unheil zu, das die Flüsse und großen Kanäle hier sehr oft anrichten müssen. Da eine Straße ganz abscheulich war, ließ ich mich bis Ponte di Lagoscuro auf den Po hinauf rudern und zahlte fünf Ruderknechten für eine Strecke von drei Stunden die
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