Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Er muß in seiner Vaterstadt jetzt so außerordentlich berühmt nicht sein, denn drei stattlich gekleidete Männer, die ich nach der Reihe anredete, konnten mir weder vom Livius noch von seinem Monumente erzählen; und doch sprachen zwei davon geläufig genug französisch. Endlich wies mich ein alter Graukopf nach dem Stadthause, wo es sich befinde. Ich wandelte in dem ungeheuren Saale des Stadthauses neugierig herum und redete einen Mann mit einem ziemlich literarischen Antlitz lateinisch an. Er antwortete mir italienisch, er habe zwar ehemals etwas Latein gelernt, aber es nun wieder ziemlich vergessen; und das meinige sei ihm zu alt, das könne er gar nicht verstehen. Er wies mich hierauf an einen andern, der mit einem Buche in einer Ecke saß. Dieser stand auf und zeigte mir mit vieler Humanität den alten Stein über dem Eingange der Expedition. Du kennst ihn unstreitig mit seiner Inschrift, welche weiter nichts sagt, als daß die Paduaner ihrem Mitbürger Livius hier dieses Andenken errichtet haben. Das neue, prächtige Monument, das der ehemalige venetianische Senat und das paduanische Volk ihm gesetzt haben, sah ich nicht, weil es zu entfernt war und ich diesen Abend nach Battaglia patrouillieren wollte. Als ich ging, sagte mir der Paduaner sehr artig: »
Gratias tibi habemus pro tua in nostrum popularem observantia. Eris nobis cum multis aliis testimonio, quantopere noster Livius apud exteros merito colatur. Valeas nostrumque civem ames ac nobis faveas!
« Der Mann sagte dieses mit einer Herzlichkeit und mit einer gewissen klassischen Wichtigkeit, die ihm sehr wohl anstand.
Vom Livius weg ging ich mit dem Livius im Kopfe gerades Weges durch seine alte trojanische Vaterstadt in das klassische Land hinein, das ehemals so große Männer gab. Du weißt, daß ich sehr wenig Literator bin, weißt aber auch, daß ich von der Schule aus noch viel Vergnügen habe, dann und wann einen alten Knaster in seiner eigenen Sprache zu lesen. Livius war immer einer meiner Lieblinge, ob ich gleich Thukydides noch lieber habe. Ich wiederhole also wahrscheinlich zum tausendsten Male die Klage, daß wir ihn nicht mehr ganz besitzen, und finde den übereilten, etwas rodomontadischen Lärm, den man vor einiger Zeit hier und da über seine Wiederfindung gemacht hat, sehr verzeihlich. Ein Gedanke knüpfte sich an den andern; und da fand ich denn in meinem Sinn, daß wir wohl schwerlich den ganzen Livius wieder haben werden. Freilich ist das zu bedauern, denn gerade die wichtigsten Epochen der römischen Geschichte für öffentliches Recht und Menschenkunde, und wo sich unstreitig das Genie und die Freimütigkeit des Livius in ihrem ganzen Glanze gezeigt haben, der Sklavenkrieg und die Triumvirate, sind verloren, aber was kann Klage helfen? Den Verlust erkläre ich mir so. Ich glaube durchaus nicht, daß er aus Zufall oder Vernachlässigung gekommen sei. Livius war ein freimütiger, kühner, entschlossener Mann, ein warmer Patriot und Verehrer der Freiheit wie alle seine Mitbürger, die es bei den letzten Unruhen in Rom unter dem Triumvirate tätig genug gezeigt hatten; er war ein erklärter Feind der Despotie. August selbst, dem die römische Schmeichelei schändlicherweise einen so schönen Namen gab, nannte ihn mit einer feinen Tyrannenmäßigung nur einen Pompejaner. Die Familie der Cäsaren war nun Meister; man kennt die Folgen der erbaulichen Subjekte derselben, die schon schlimm genug waren, wenn sie auch nur halb so schlecht waren, als sie in der Geschichte stehen. Du findest doch wohl begreiflich, daß die Cäsaren nicht absichtlich ein Werk, wie die Geschichte des Livius war, zu Lichte werden gefördert haben. Es wird mir sogar aus einigen Stellen des Tacitus sehr wahrscheinlich, daß man alles getan hat, sie zu unterdrücken, wenigstens die Stellen, wo der aristokratisch römische Geist und die Tyrannei der cäsarischen Familie insbesondere mit sehr grellen Farben gezeichnet sein mußte. Dieses waren vorzüglich der Sklavenkrieg und das Ende der Bürgerkriege. Es war überhaupt ein weitläuftiges Werk, und nicht jeder war imstande, sich dasselbe abschreiben zu lassen. Alle fanden es also wahrscheinlich genug ihrer Sicherheit und ihrem Interesse gemäß, die Stellen nicht bei sich zu haben, die ihnen von dem Argwohn und der Grausamkeit ihrer Herrscher leicht die blutigste Ahndung zuziehen konnten. Auf diese Weise ist das Schätzbarste von Livius im eigentlichen Sinne nicht sowohl verloren gegangen, als vernichtet worden: und
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