SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit
auch das richtige Tempo für Mensch und Umwelt. Die Staatsführung in Bhutan sucht systematisch nach einem Weg, seinen Bürgern ein gutes und glückliches Leben zu ermöglichen. Mit der Entscheidung, das Glück seiner Bürger per Verfassung über das wirtschaftliche Wachstum zu stellen und alle politischen Entscheidungen darauf zu prüfen, ob sie den Bürgern und der Umwelt dienen oder nicht, ist das Land seiner Zeit voraus. Da wundert es einen auch nicht, was die Bhutaner als wichtigstes Element ihres Glücks bezeichnen: die Kontrolle über die eigene Zeit. Auch wenn der Weg zum Bruttonationalglück noch weit ist und es sicher noch viel zu kritisieren gibt. Allein der Versuch eines Landes, einen wirklich anderen Weg zu gehen, ist mutig und mehr, als der Rest der Welt zu bieten hat.
Aber auch bei uns gibt es sie, wenn auch nur als zarte Pflänzchen, die Utopien und Alternativideen zum beschleunigten Kapitalismus. Das bedingungslose Grundeinkommen zum Beispiel. Wenn die Wettbewerbslogik, die Angst, abgehängt zu werden, die entscheidende GröÃe im Beschleunigungsspiel ist, müsste eine wirkungsvolle Alternative genau dort ansetzen. Und das tut das bedingungslose Grundeinkommen zumindest der Meinung vieler Experten nach.
Es würde viele Menschen von dem Druck befreien, allein zur Sicherung der eigenen Existenz in einen täglichen Konkurrenz- und Ãberlebenskampf treten zu müssen. Es würde uns ermöglichen, ein Leben zu führen, ohne dass wir zur Existenzsicherung sozusagen permanent die eigene Wettbewerbsfähigkeit unter Beweis stellen müssen. Eine solche Gesellschaft können wir uns leisten, sie ist möglich. Sie zu realisieren könnte zumindest der Anfang eines Auswegs aus dem Beschleunigungsrad sein.
Was hat meine Suche also mit mir gemacht? Schwer zu sagen. Eine Universalformel für einen entschleunigtes und glückliches Leben oder gar eine Lösung für das kollektive Beschleunigungsproblem habe ich nicht gefunden.
Doch das heiÃt natürlich nicht, dass es sie nicht gibt. Wir sollten nicht aufhören oder, besser gesagt, endlich mal ernsthaft und kollektiv damit anfangen, danach zu suchen. Beschleunigung und Wachstum sind zwar untrennbar mit unserem Wirtschaftssystem verbunden, dem modernen Kapitalismus. Okay. Aber wer sagt, dass sich unser System nicht verändern oder auswechseln lässt? Es ist kein Naturgesetz, das man hinnehmen muss. Wir sollten uns endlich einmal die Zeit nehmen, ein Bewusstsein für unsere Lebensumstände zu entwickeln. Und das heiÃt: hinschauen.
Wirkliche Entschleunigung heiÃt aber auch, von einer Wirtschaft und Gesellschaft Abschied zu nehmen, die ständig wächst. Es heiÃt, sich an den Kreisläufen der Natur zu orientieren. Einem ausgeglichenen Kreislauf, bei dem nur so viele Ressourcen verwendet werden, wie im gleichen Zeitraum nachwachsen können.
Einfach so weiterzumachen wie bisher, nur eben ein bisschen langsamer und ein bisschen entschleunigt, wird nicht funktionieren. Umso wichtiger ist es, dass wir mit aller Kraft die zarten Anfänge der Alternativen weiterdenken und ausprobieren, damit im Beschleunigungsstrudel nicht alle gesellschaftlichen Ideale über Bord gehen. Wir müssen wie Douglas Tompkins darüber nachdenken, wie ein Leben ohne wirtschaftliches Wachstum funktionieren könnte. Oder wie wir das Glück des Einzelnen und der Gesellschaft anstelle von Raserei und Wachstumswahn zum Maà der Politik machen können. Wir müssen das Grundeinkommen ausprobieren. Und das sind ja nur einige der Alternativversuche. Es braucht Mut und Weitsicht, den Tempowahn zu verweigern und die ausgetretenen Wachstumspfade zu verlassen.
Ich hoffe, vor allem für meinen Sohn, dass wir beides endlich aufbringen. Denn im Vergleich zu dem, was ihn in einer sich weiter beschleunigenden Welt erwarten wird, war bei uns ja noch alles in Butter. Also, was haben wir schon zu verlieren?
Bis es so weit ist, habe ich mir vorgenommen, zumindest mein eigenes Leben zeitlich ein bisschen in den Griff zu kriegen und gründlich zu ändern. Mir ist klar geworden, wie sinnlos der Versuch ist, zwei oder mehr Leben in eins zu packen. Entschleunigung bedeutet eben leider auch, sich die Begrenztheit des Lebens einzugestehen. Und die lässt sich eben weder durch Zeitsparen noch durch Wellnesswochenenden überwinden, zu denen man mit dem Billigflieger düst, um aufzutanken und dann wieder
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