SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit
Prozess und zwei Monate der Angst und Ungewissheit für uns und unsere Familien. Ein afrikanischer Albtraum mit den filmreifen Ingredienzien eines Politthrillers. Das Ganze ging zum Glück gut aus. Der Prozess wurde schlieÃlich aufgrund internationalen diplomatischen Drucks eingestellt, wir wurden freigelassen und durften das Land wieder verlassen. Zum Glück. Aber ich hatte in diesen zwei Monaten auch unfreiwillig viel Zeit gehabt, gründlich über mein Leben nachzudenken.
Ein knappes Jahr später wurde mein Sohn Anton geboren. Natürlich habe ich geglaubt, bereits alles übers Kinderkriegen zu wissen und ganz genau zu überblicken, was da auf uns zukommen würde. SchlieÃlich waren ja schon einige unserer Freunde Eltern geworden. Doch was kam, hat alle meine Erwartungen getoppt. Ich werde nie vergessen, wie wir nach Antons Blitzgeburt bei Sonnenaufgang müde und glücklich zugleich wie in Trance mit dem Taxi durch das sonnendurchflutete Berlin nach Hause fuhren. Berlin kam mir plötzlich vor wie der schönste Ort auf Erden. Der Taxifahrer lieà klassische Musik laufen, und es war, als wären wir für einen Moment irgendwie aus der Zeit gefallen.
Die hat uns aber leider schnell wieder eingeholt: In den Tagen darauf musste ich feststellen, dass mich die Geburt scheinbar mehr angestrengt hatte als Caro, die ihre Mutterrolle sofort so selbstverständlich und souverän ausfüllte, als hätte sie nie etwas anderes getan. Ich hingegen brauchte meine Zeit, um zu begreifen, was ab jetzt alles anders würde. Heute kann ich mir ein Leben ohne Anton überhaupt nicht mehr vorstellen. Klar, dass ich die Welt seitdem mit anderen Augen sehe. Vor allem das Leben mit Anton hat mir noch schmerzhafter vor Augen geführt, wie bescheuert und absurd mein Zeitproblem eigentlich ist. Und dass es noch wichtiger ist, endlich Prioritäten zu setzen. Nur wie? Und welche?
Es ist ja nicht so, als würde ich tagelang herumgammeln und meine Zeit vertrödeln. Im Gegenteil: Ich versuche schon ständig, mein Leben so effizient wie möglich zu organisieren und Zeit zu sparen. Dafür habe ich inzwischen sogar ein beträchtliches Arsenal an technischen Geräten angesammelt, die einzig zu dem Zweck erfunden wurden, das Leben ihres Benutzers effizienter zu machen. Und auch ich habe gehofft, dass mein Handy, mein Laptop und meine superschnelle Internetverbindung mir irgendwie dabei helfen würden, effizient zu sein und Zeit zu sparen. Doch am Ende des Tages hab ich nicht mehr, sondern immer weniger Zeit.
In meinem Kopf geht es inzwischen zu wie in einem Flipperautomaten. Ich bin, offen gestanden, kaum noch in der Lage, mich länger als ein paar Minuten auf ein und dieselbe Aufgabe zu konzentrieren, selbst das Lesen eines längeren Zeitungsartikels fällt mir inzwischen schwer. Ich bin erschöpft und rastlos zugleich. Ich würde gern sagen können, wohin sich meine Zeit verflüchtigt. Aber ich kann es nicht. Ich merke nur, dass ich nie genügend davon habe. Ich fühle mich wie ein Getriebener. Aber wovon? Auch das kann ich leider nicht genau sagen. Meine Tage kommen mir vor wie ein einziger Wettlauf gegen die Uhr. Den Startschuss dieses Wettrennens gibt entweder der Wecker oder unser Sohn Anton. Und ab dann renne ich. Bis ich abends wieder müde ins Bett falle. Dazwischen hetze ich durch einen Tagesordnungspunkt nach dem anderen. Mails checken vor dem Frühstück, Frühstück machen, Anton wickeln und anziehen, nochmal Mails checken, Anton in die Kita bringen, ins Büro oder in den Schneideraum fahren. Auf dem Weg dahin beim Radfahren die wichtigsten Telefonate erledigen, im Büro sofort wieder ins Netz und Mails checken, telefonieren, ein ziemlich unrealistisches Arbeitspensum abarbeiten, Mails checken und beantworten, dazwischen immer wieder Spiegel Online, Mittagessen im Stehen, und dann ist es gerade mal 13.00 Uhr.
Ständig auf dem Handy erreichbar und immer im Netz, frage ich mich manchmal, ob ich inzwischen verhaltensauffällig geworden bin oder ob mein Verhalten mittlerweile so normal ist, dass ich eben überhaupt nicht mehr auffalle und einfach ziel- und kritiklos mitschwimme im Strom. Ich weià nicht, was ich schlimmer finden soll.
Wenn ich in meinem Büro sitze und eigentlich produktiv sein müsste, haben mich meine elektronischen Helferlein jedenfalls ziemlich im Griff. Alle paar Minuten unterbreche ich die Arbeit, an der ich
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