Eine Katze hinter den Kulissen
Lydia Adamson
Eine Katze
hinter den Kulissen
Kriminalroman
Aus dem Amerikanischen von Julia Schade
Aufbau Taschenbuch Verlag
Titel der Originalausgabe A CAT IN THE WINGS
ISBN 3-7466-1174-1
1. Auflage 1996
© Aufbau Taschenbuch Verlag GmbH, Berlin
© Lydia Adamson, 1992. Published by arrangement with
Dutton Signet, a division of Penguin Books USA Inc.
Umschlaggestaltung Torsten Lemme
unter Verwendung einer Illustration von Rainer Fischer
Satz LVD GmbH, Berlin
Druck Elsnerdruck GmbH, Berlin
Printed in Germany
1
Versetzen Sie sich in eine Aufführung des Balletts Der Nußknacker: Stellen Sie sich die Musik vor, die Kostüme, die festliche Atmosphäre.
Diese Vorstellung findet am Heiligen Abend im Lincoln Center statt, es tanzt das New York City Ballet.
Gibt es ein Ereignis, das typischer für die ungeheure Weihnachtsfreude in Manhattan ist?
Das möchte ich bezweifeln.
Aber was machte ich eigentlich da, in einer Loge im ersten Rang, mit fünf Kindern?
Ja, Sie können gerne nachzählen. Fünf
Kinder im Alter zwischen sechs und zehn Jahren. Kathy, Laura, Stephen,
Edward und ein Kind, das Ada oder Dada oder Sadie hieß.
Ich war hier, weil ich in einer Anwandlung von
Prahlerei einer Catsitting-Kundin gegenüber damit angegeben hatte,
daß ich gute Plätze für den Nußknacker bekommen könne, wann immer ich wolle.
Mrs. Timmerman machte große Augen, als sie das hörte. »Aber wie denn?« fragte sie.
»Eine Freundin von mir ist dort ein ziemlich hohes Tier«, gab ich geheimnisvoll zurück.
Diese Freundin gab es wirklich. Lucia Maury arbeitete
in der Verwaltung des Lincoln Centers für darstellende
Künste. Zu ihren Aufgaben gehörte es, die Reisen des New York
City Ballets zu organisieren, wenn die Truppe auf Tournee ging. Ich
kannte Lucia seit mehr als zwanzig Jahren. Wir waren Zimmergenossinnen
gewesen, damals, als wir beide gerade nach Manhattan gekommen waren,
sie, um zu tanzen und ich, um die Schauspielschule zu besuchen. Wir
waren seither immer in Kontakt geblieben, und einer der Gründe
dafür war unsere gemeinsame Leidenschaft für
Maine-Coon-Katzen. Lucia hatte früher einen wundervollen
Maine-Coon-Kater namens Splat gehabt, der vor drei Jahren gestorben
war. Sein Tod hatte sie so sehr mitgenommen, daß sie sich nie
wieder eine Katze angeschafft hatte. Lucia war eine sehr gute
Tänzerin gewesen, bis sie sich eine Verletzung am Knie zuzog. Und
seit sie in der Verwaltung des Lincoln Center tätig war, hatte sie
mir immer wieder Karten angeboten. Ich hatte meistens abgelehnt.
Der einzige wunde Punkt in unserem Verhältnis
war die Tatsache, daß ich schrecklich eifersüchtig auf sie
war - wenn sie tanzte. Wie so viele Schauspielerinnen habe auch ich
diesen Minderwertigkeitskomplex Ballettänzern gegenüber. Sie
sind einfach wundervoll! Und sie tun genau das, was wir alle gerne tun
würden, aber nie erreichen werden.
Jeder, der kurz vor dem Beginn einer
Ballettvorstellung schon einmal hinter der Bühne war, wird wissen,
was ich meine. Die Tänzer unterhalten sich über alles
mögliche, von Liebhabern über Einkaufstips bis zum Wetter.
Manche machen Dehnübungen, andere schminken sich.
Plötzlich fängt das Orchester an zu spielen, und ein paar Sekunden später geht der Vorhang auf.
Eine Tänzerin, die noch einen Augenblick zuvor
aus Langeweile an einem Fingernagel gekaut hat, wirbelt auf die
Bühne und vollführt mehrere großartige Sprünge und
Pirouetten.
Plötzlich bleibt sie vorn am Bühnenrand
stehen, verbeugt sich anmutig und zufrieden und gleitet dann weiter
über die Bühne, als ob das gar nichts wäre.
In ganz kurzer Zeit ist die Tänzerin aus einem
Zustand völliger Ruhe in Ekstase geraten, mit plötzlichem
Verharren: ein diszipliniertes Feuerwerk aus Körperkontrolle und
Anmut.
Wie sollte eine Schauspielerin also nicht eifersüchtig auf eine Ballerina sein?
Aber um es kurz zu machen: Mrs. Timmerman ging mir an
diesem Tag auf die Nerven. Sie redete in einer Tour über ihr
Landhaus in Dutchess County, doch daß sie sich entschlossen
hätten, dieses Jahr das Weihnachtsfest in Manhattan zu verbringen,
damit die Kinder einmal »Weihnachten in der Stadt« erleben
könnten. Und abgesehen davon könne Belle, die Katze, das
Landleben sowieso nicht ausstehen.
Sie redete und redete und mir blieb nichts anderes
übrig, als höflich zuzuhören. Je länger sie
erzählte, desto gereizter wurde ich. Und irgendwann erwähnte
ich ganz beiläufig, daß ich alle
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