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Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Leuchtfeuer an der Spitze des hohen Steinturms schickte sein Licht in großer Höhe aus. Er erinnerte an ein Minarett oder an einen kleinen Leuchtturm für Schiffe irgendwo am Ende der Welt.
    Auf der Veranda saß, den Blick fest auf den sich nähernden Martin gerichtet, in einem Schaukelstuhl aus Korb der Leuchtturmwärter und hiesige Muezzin in einer Person, ein mit glänzendem schwarzen Fell bewachsenes Wesen von anderthalb Metern Größe. Das Kopffell unterschied sich in keiner Weise von dem Fell, das seinen Körper bedeckte, sondern wuchs um die großen traurigen Augen und den dicklippigen Mund herum bloß spärlicher und kürzer. Bekleidet war das Wesen nur mit knielangen Shorts.
    »Sei gegrüßt, Schließer«, meinte Martin, wobei er vor der zum Haus hinaufführenden Treppe, die aus drei flacheren Stufen bestand, stehen blieb.
    »Sei gegrüßt, Wanderer«, entgegnete der Schließer, indem er die Pfeife aus dem Mund nahm. Er hatte eine angenehme tiefe Stimme, die, wiewohl männlich, einer gewissen weiblichen Weichheit und Zärtlichkeit nicht entbehrte. Zudem färbte sie ein leichter Akzent, der indes so flüchtig war, dass er schon nach wenigen Sekunden nicht mehr im Ohr schmerzte. »Tritt ein und ruh dich aus.«
    Nun durfte Martin die Treppe hinaufsteigen. Als er die Sohlen an den Kanten der Stufen abrieb, fielen Klumpen schweren matschigen Drecks von den Schuhen. Sodann betrat er die Veranda. Neben dem Schließer stand ein weiterer Sessel, auf dem Tisch warteten eine Karaffe mit fahlgelbem Wein und zwei Gläser. Das durfte als indirekte Einladung verstanden werden, zumal die Schließer niemals auf ein sofortiges Gespräch drangen.
    »Ich möchte nach Hause«, sagte Martin, während er im Sessel Platz nahm. »So schnell wie möglich.«
    Der Schließer nahm einen Zug aus seiner Pfeife. Sogar der Geruch des Tabaks dünkte Martin heimelig, irdisch. Aus irgendeinem Grund hatten sich die Schließer zuallererst die menschlichen Laster angeeignet. Sie mochten Wein, und allein die Idee, Tabak zu rauchen, hatte sie verzückt.
    »Einsam ist es hier und traurig«, bemerkte der Schließer. Die rituelle Floskel klang erstaunlich aufrichtig, vermochte man sich doch nur mit Mühe einen Ort vorzustellen, der einsamer und trauriger als dieser graue, kalte Sumpfplanet gewesen wäre. »Sprich mit mir, Wanderer.«
    »Vor zwei Tagen bin ich auf diese Welt gekommen«, hob Martin an, als habe der Schließer ihre erste Begegnung bereits vergessen. Doch hatte ihn damals wirklich derselbe Schließer empfangen? »Ich kam nicht, weil mich nach neuen Eindrücken oder Abenteuern dürstete. Ein Mensch, der auf dem Planeten Erde lebt, hat ein schreckliches, ein sinnloses Verbrechen begangen. Im betrunkenen Zustand hat er sich alldem überlassen, was in seiner Seele schlecht ist. Ich weiß nicht, ob er schon lange auf seine Frau eifersüchtig war, und ich weiß nicht, ob er Grund dazu hatte … Doch an jenem Abend mündete ihr Streit in eine Tragödie. Er hat seine Frau getötet. Von seiner eigenen Tat entsetzt, flüchtete er sich anschließend durch das Große Tor.«
    In seinem Schaukelstuhl wippend nickte der Schließer.
    »Die Verwandten der armen Frau haben beschlossen, den Mörder zu bestrafen«, fuhr Martin nach einer Pause fort. »Sie haben mich angeheuert und gebeten, ihn zu finden. Zu finden und zurückzubringen. Ich bin ihm gefolgt und dabei auf diese Welt gelangt …«
    »Im Universum gibt es sehr viele Welten«, bemerkte der Schließer, während er seine Pfeife ausklopfte. »Und auf vielen Welten können Menschen leben. Wie vermochtest du in Erfahrung zu bringen, welchen Weg er eingeschlagen hat?«
    »Das war schwierig«, gestand Martin. »Ich musste mir ein genaues Bild von dem Menschen machen, mich in ihn hineinversetzen, seine Träume und Ängste durchleben, denken wie er. Menschen wählen ihren Weg häufig nicht bewusst. Bisweilen verlockt sie ein schöner Ortsname, eine ungewöhnliche Kombination von Lauten, ein innerer Impuls … Mitunter irre ich mich, doch in diesem Fall war mir das Glück bereits beim ersten Versuch hold.«
    Mit einem Nicken nahm der Schließer die Erklärung zur Kenntnis.
    »Ich habe den Flüchtling gefunden«, berichtete Martin weiter. »Da er jedoch mit der Verfolgung gerechnet hatte, konnte ich ihn nicht zur Umkehr zwingen. Manchmal hilft ein Gespräch, nach dem ein Mensch sich dazu durchringt, zurückzukehren und die Strafe auf sich zu nehmen, die in unserer Welt vorgesehen ist. Doch dieser Mann

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