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Sperrzone Fukushima

Sperrzone Fukushima

Titel: Sperrzone Fukushima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William T. Vollmann
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Viertels war der Dieselgestank auch hier Übelkeit erregend. Ihre beiden kleinen Enkelinnen spielten mit Gummiüberschuhen den Eingang fegen und setzten sich dann zum Lesen hin, Comics vielleicht. Sie waren sehr schüchtern; ich ließ sie in Ruhe. Da niemand etwas sagte, fragte ich nicht, wo ihre Eltern waren.
    »Ich bin in Strandnähe geboren worden«, sagte Frau Ito. »Ich habe in dieser Präfektur den chilenischen Tsunami erlebt und noch einen weiteren. Also wusste ich genau, wenn es ein Erdbeben gibt, muss man auf einen Tsunami vorbereitet sein. Aber dieser «, sagte sie und verzog das Gesicht (und unterbrach sich, um einen Löffel aufzuheben, den eines der kleinen Mädchen hatte fallen lassen), » dieser war anders.«
    Weil sie genau wusste, dass man hinter vom Beben verzogenen Türen in der Falle sitzen konnte, hatte sie die Haustür schon vorher geöffnet, dann saß sie die Erschütterungen drinnen aus, vor Furcht, die Dachschindeln könnten ihr den Schädel einschlagen. Sie schloss den Safe auf, entnahm ihm »die Andenken an die Ahnen«, ihre buddhistischen Gedenktafeln offenbar, und dann, weil sie dachte, sie hätte noch Zeit, suchte sie nach einem baumwollnen Furoshiki-Tuch, um sie darin einzuschlagen. Eine ihrer Enkelinnen fragte sie dann, ob sie nicht ihr Handy mitnehmen wolle. Und so flüchteten sie im Auto. Sie schickte die beiden Kinder voran und kehrte noch einmal zum Wagen zurück, um den Hund und ihre Geldbörse zu holen. Ihre Hände verkrampften sich immer fester in ihrem Schoß, und als sie sagte: »Ich ging über einen schmalen Pfad, und dann sah ich mitten auf der Straße den Tsunami«, war der Schrecken in ihrem runden, geröteten Gesicht fast unerträglich.
    »Die erste Welle riss alles fort, was ich mitgenommen hatte, dann lief ich in die Richtung, wo die Welle nicht so hoch war. Ich weiß, dass ein Mensch dem Tsunami nicht entkommen kann,wenn er einmal drin ist, also streifte ich die Schuhe ab und kletterte eine Mauer hinauf, und zuerst war es wackelig, aber dann fand ich festen Halt und klammerte mich mit den Zehen fest. Das Wasser stand mir bis an die Hüfte und dann bis an die Brust; ich hielt mich am Dach fest, um nicht mitgerissen zu werden; Hilfe! Hilfe! Hilfe! , rief ich den Geist meines verstorbenen Mannes an … Dann kam das Wasser.«
    Die Enkelkinder lasen weiter, in ihren Gummiüberschuhen, im fischigen, dieselhaltigen Wind (und da er durchaus auch aus Richtung des Reaktors wehen konnte, prüfte ich mein Dosimeter, das um sechs Uhr früh 1,9 kumulierte Millirem angezeigt hatte und jetzt, nach drei Stunden in Ishinomaki, auf 2,0 gesprungen war, was bedeutete, dass die Radioaktivität hier mindestens doppelt so hoch war wie in Tokio – nicht schlecht; die hypothetischen, vom Winde verwehten Teilchen mit Beta-Strahlung einmal ganz außer Acht gelassen); und eine Krähe krächzte; ein Haufen Reifen lag herum; aus einer leeren Fensteröffnung hingen durchweichte Futons zum Trocknen.
    »Ich war auf dem Dach, also bin ich schließlich vor Einbruch der Dunkelheit gerettet worden. Ich habe meine Enkelinnen zwei Tage lang nicht gesehen, aber ihre Lehrerin hat mir gesagt, dass es ihnen gutgeht …«
    Hinter einem angelehnten Gitterrost sammelte ihr alter Nachbar klappernde Dinge aus dem Schlamm seines früheren Hofs.
    »Wie wichtig ist der Atomunfall für Sie?«, fragte ich sie.
    »Vielleicht brauchen wir das Kraftwerk, aber sie sollten die Tatsachen offenlegen. Sie scheinen es gestoppt zu haben, aber stimmt das auch? Sie haben gesagt, in einigen Fischereiprodukten sei die Konzentration gering, aber wenn es sich anlagert, ist das schlimm …«
    Mein Blick fiel auf einen ganz verkrümmten kleinen mumifizierten Fisch im Sand zu ihren Füßen.
    Auf einem schmalen Sandstreifen zwischen zwei Hausruinen brachte ein alter Mann Samen aus. Büschel aus Plastik zuckten inden vom Tsunami gekappten Bäumen. Eine verdrehte Zypresse, noch grün, lehnte an der Wand zum Innenhof eines in Höhe der Dachrinne aufgerissenen Hauses. Ich verbeugte mich zum Abschied vor Frau Ito, die langsam wieder in ihr Haus kroch.
     
     
EIN ZURZEIT IN REPARATUR BEFINDLICHES KOTO BETREFFEND
     
    Wie viele solcher Geschichten wollen Sie hören? Ich sammelte so einige; sie ähneln sich alle auf genau die eine Weise, die sie für Journalisten so uninteressant macht, gerade wie die fratzenhaften, oft aufgedunsenen Leichen, viele mit Verletzungen an der Stirn, deren Bilder in jener improvisierten Leichenhalle in Ishinomaki an der

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