Sperrzone Fukushima
Versorgungsgüter sechs Stockwerke die Treppen hinab, dann ging es in schneller Fahrt über die rissige Straße.
Das Dosimeter zeigte inzwischen 2,1 an. Der Fahrer, ein muskulöser, etwas älterer Mann, erzählte lachend, seine Frau und er hätten eben die Erdbebenschäden in ihrer Wohnung beseitigt, und nun, nach dem neuesten Beben, liege das Geschirr schon wieder in Scherben auf dem Boden! Im Bahnhof von Sendai sei das Dach undicht, merkte er an, also sei er vielleicht geschlossen. Derweil blickte die Dolmetscherin von ihrer Zeitung auf und berichtete, die Auflagen für die Fischereibetriebe in der Präfektur Miyagi könnten zwei Monate lang in Kraft bleiben, woraus, so dachte ich mir, leicht zwanzig oder fünfzig Jahre werden konnten. Früh blühende Pflaumenbäume und vereinzelte Palmen leisteten uns auf unserer Fahrt durch die strohgelben Reisfelder Gesellschaft; eine Möwe flog über uns hinweg. Das Radio verkündete, der Zwischenfall der vergangenen Nacht habe 916 Haushalte »heruntergefahren«. Und nun ein weiterer einstündiger Stau, da die Züge nicht fuhren.
Nach einer Weile erreichten wir die nach Diesel duftende Hässlichkeit von Furukawa, und die allgemeine Schleichfahrt erlaubte uns, sie nach Herzenslust in Augenschein zu nehmen: kleine Banken, Werbetafeln, Autotransporter, gesichtslose Häuser hinter Hecken, Pachinko-Spielhallen inmitten leerer Parkplätze, Autowaschanlagen, ein Geschäft für Grabsteine auf Asphalt an einem schmutzigen, einbetonierten Kanal. Wir hielten vor einem dunklen kleinen Laden, um die beiden Frauen austreten zu lassen, aber die Toilette war außer Betrieb. Eine halbe Stunde später wiederholte sich diese Erfahrung in einem Geschäft mit teilweise leeren Regalen. Ein einsamer Kassierer bediente eine lange Schlange von Kunden, die offenbar vor allem Getränke kaufte. Seine Registrierkasse war natürlich tot. Niemand verlor die Geduld. Als wirwieder unterwegs waren, fiel uns der lange Riss im Asphalt auf, parallel zum Mittelstreifen; manchmal standen Pflasterbrocken hervor wie ramponierte Hahnenkämme. An einer Stelle hielten zwei Straßenarbeiter in gelben Monturen einen langen Messstab und führten ihn ganz fasziniert in einen Spalt in der Straße ein.
Die Risse wurden immer imposanter. Vor und hinter Brücken waren sie am schlimmsten. Der Fahrer seufzte und schüttelte den Kopf; die beiden Frauen schwiegen. Dann wurde die Straße wieder besser.
Es verging einige Zeit, bis wir nach Kesennuma hinabkamen, 172 Kilometer vom Kraftwerk Nr. 1 in Fukushima; wir stießen auf immer größere Haufen von zersplittertem Bauholz, dann auf Ruinen, Berge aus Metall und Bauschutt, Autos, die auf dem Dach lagen – aber die Straßen waren ganz säuberlich geräumt worden. Der Fahrer stöhnte: » Oooch! Iiiih! «
Ich wusste nicht, wie Kesennuma früher ausgesehen hatte; was ich zu sehen bekam, waren ganze Straßenzüge voller regennassen Mülls, Autowracks, ausgebrannter Autos, Müll in Pfützen, Müllberge mit schlammigen Pfützen dazwischen, übel schmeckender Regen (und soweit ich weiß, war das Gefährlichste, was ich auf der ganzen Reise tat, den triefenden Regenschirm meiner Dolmetscherin zu halten, während sie auf der Toilette war.) Manchmal hingen schmutzdunkle Fasern, Kabel und Splitter in den Türfüllungen wie Zähne im Maul eines Ungeheuers. Die ungepflasterten Straßen gemahnten gelegentlich an Dämme zwischen zugemüllten rechteckigen und bis an den Rand mit stinkender Brühe gefüllten Ruinenfeldern. 26 Viele Häuser erinnerten an Schrottplätze. Auf höherem Gelände, wo es weniger nass war, sahen ganze Stadtviertel schlicht wie verwüstete Baustellen aus. Und auf einer Ebene voller Schlamm und Pfützen stand, wie in Ishinomaki, über all dem Schrott und Schmutz wieder ein einsames zinnoberrotes Schrein-Torii.
Kesennuma , heißt es, leite sich von einem Wort aus dem Ainu ab, das »Bucht« bedeutet. Auf der anderen Seite der Hafenstraße,deren Straßenschild verbeult und zerfetzt war und deren elektrische Leitungen Frisurprobleme hatten, roch das überschwemmte Parkhaus nach Meer, und der Regen pladderte auf den Gehsteig. Ein hagerer Radfahrer in schmuddeligem Grau fuhr vorüber, der Mundschutz hing ihm um den Hals. Das milchig graugrüne Meer sah nicht schmutzig aus. Der Regen machte die Luft weniger staubig, vielleicht aber auch radioaktiver; ich vergaß nie, dass das Dosimeter den Unterschied nicht messen konnte. Nachdem wir Frau Professor Morimotos Batteriekartons
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