Spiegel der Offenbarung
Suchern auf. Niemand war mehr als er über die Enthüllung überrascht gewesen, dass seine Frau eine Elfe war, und seither war er mächtig stolz auf sie und inzwischen eine tatkräftige Unterstützung. Auch er könnte der Schattenlord sein, aber das sah Laura als noch unwahrscheinlicher als bei den anderen an. Oder? Wenn sie an Maurice dachte, der mit ihr darüber hatte sprechen wollen ... Alle, die sich hier auf der Plattform befanden, waren zu dem Zeitpunkt in Cuan Bé gewesen.
Aber da gab es eben noch diese andere Möglichkeit. Nämlich, dass der Schattenlord einer jener Passagiere war, die sie verletzt hatten zurücklassen müssen, als sie aus der Wüste aufgebrochen waren. Er hatte ihnen die ganze Zeit über folgen können und seinen großen Coup in aller Ruhe vorbereiten können. Niemandem wäre aufgefallen, wenn da mal ein Reinblütiger mehr oder weniger anwesend gewesen wäre, gerade in Cuan Bé waren sie ja ohnehin zumeist jeder mehr für sich gewesen. Er hätte sich also jederzeit unter all den anderen verstecken können, durchgezählt hatten sie schließlich nie. Das wäre ihnen pietätlos erschienen und hätte zu sehr darauf hingewiesen, wie viele Verluste sie erlitten hatten. Und Laura kannte noch nicht einmal jetzt alle mit Namen oder hatte auf ihre Gesichter geachtet, weil sich nie die Gelegenheit dazu ergeben hatte.
Und noch etwas sprach für diese Theorie: Spyridon. Er hatte vorhin eindeutig ausgesagt, dass der Schattenlord nicht mehr da wäre. Als Maurice starb, war der Ewige Todfeind noch nicht ins Lager zurückgekehrt. Danach aber hätte er ihn erspüren müssen. Seine Sinne waren in dieser Hinsicht feiner als die seines Gefährten oder Naburos.
So viele fehlen , dachte Laura traurig. Maurice, Micah, Frans und so viele andere, die sie schon früher verloren hatten. Ja, Norbert zählte ebenfalls dazu und die drei Mitglieder der Familie Müller ...
»Hört mir zu«, sagte sie mit klarer, lauter Stimme. »Vergrabt euch nicht in Selbstvorwürfen. Was geschehen ist, ist geschehen. Ihr konntet nichts dafür. Es hat Opfer gegeben, ja, zu viele. Aber ihr habt es durchgestanden. Unsere letzte Woche in diesem Reich bricht an. Wir werden bald alle miteinander nach Hause gehen. Und wenn ihr das tut, lasst allen Ballast hier zurück. Ihr lebt. Das ist es, was zählt. Ihr habt so viel durchgestanden, also sollt ihr frohen Mutes nach Hause zurückkehren. Mit neu gewonnenen Kräften, die euch das künftige Leben erleichtern werden.«
Sie starrten sie an. Laura wusste selbst nicht genau, was sie geritten hatte, eine solche Ansprache zu halten, noch dazu eine ziemlich gute, wie sie fand. Aber das musste einfach gesagt werden. Sie könnte es sonst nicht mehr ertragen, wenn es gar keine Hoffnung um sie herum mehr gab.
»Aber ...«, sagte Anais leise, »wird man uns je verzeihen können?«
»Ach Anais.« Laura lächelte und wies auf die gefüllten Kisten. »Seid ihr denn als Gefangene hier? Nein, als Gäste. Es gibt nichts zu verzeihen. In dieser Hinsicht müsst ihr noch viel von den Elfen lernen. Sie nehmen solche Dinge leichter hin. Ihr seid einem magischen Einfluss erlegen, für den ihr nichts konntet. Außerdem wart ihr zermürbt und habt nach jedem Strohhalm gegriffen, der euch Rettung versprochen hat. Und Halt und Schutz. Und vor allem – habt ihr schließlich im Kampf gegen Alberich tatkräftig mitgeholfen. Alle miteinander habt ihr Cuan Bé verteidigt. Das allein macht alles wieder gut.«
Sie hob die Hände. »Ich bitte euch, lasst die Vergangenheit ruhen. Schließt damit ab, es ist keiner mehr da, der euch schaden kann. Und erst recht niemand, der euch Vorwürfe macht. Ihr wart eine wertvolle Unterstützung. Bereitet euch jetzt auf die Heimkehr vor.«
Einige blinzelten oder wischten sich die Augen. Auf den Gesichtern anderer regte sich zaghafte Hoffnung.
»Aber was wird mit uns geschehen, jetzt, da der Krieg da ist?«, fragte Karen.
»Ihr werdet alles live von hier oben aus erleben«, antwortete Laura. »Der Titanendactyle ist unangreifbar, das haben wir durch Alberichs vergebliche List erkannt. Also seid ihr sicher und am besten hier oben aufgehoben. An diesem Platz hinten seid ihr niemandem im Weg, wenn die Kämpfe beginnen. Seht es als ... ähm ... interaktiven Film an.«
»Gibt es denn keinen Ort, an dem wir warten können?«
»Der Vulkan wäre das. Aber möglicherweise muss alles sehr schnell gehen, sobald unsere Frist abläuft, und dann reicht vielleicht die Zeit nicht mehr, um euch
Weitere Kostenlose Bücher