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SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)

SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)

Titel: SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Mascolo
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angeblich nichts über die Jahre davor wissen. Eine Auseinandersetzung über die Zustände in den Heimen der Vincentinerinnen fand nicht statt. "Darüber haben wir nie gesprochen. Es hat uns ja auch bis heute keiner gefragt."
    Auch viele der ehemaligen Heimkinder haben die schlimmen Jahre einfach nur vergessen wollen. Manche verschwiegen sie selbst dem Lebenspartner und den Kindern – wie Marion L., heute 49 Jahre alt.
    "Ich hatte eine große Scham, darüber mit jemandem zu sprechen", berichtet sie. "Selbst meinem Sohn habe ich es lange Zeit verschwiegen, auch bei Nachfragen." Dabei hatte der Sohn Gründe nachzubohren: Schreie der Mutter in der Nacht, ihre unmotivierten Gefühlsausbrüche, eine lebenslange Tablettensucht als Folge der dem Essen beigemischten Medikamente, mit denen Kinder ruhig gestellt worden waren.
    Marion L. lebte in kirchlichen Heimen, bis sie 19 wurde, im Paderborner "Erzbischöflichen Kinderheim" der Vincentinerinnen und in einem Diakonissen-Heim im westfälischen Scherfede. Dort, erinnert sie sich, zischten allabendlich die Weidenruten auf die Kinder nieder, die vor dem Prügelzimmer wegen ihrer tagsüber begangenen "Verfehlungen", zu denen schon das Bohren in der Nase zählte, Schlange stehen mussten.
    Marion und viele der hundert anderen Heimkinder wurden immer wieder eingesperrt in eine heute noch erhaltene Dachbodenabseite. Im Zwielicht der Kammer entwarf sie schon als Zwölfjährige wiederholt Selbstmordpläne. Einmal versuchte sie, vom Balkon zu springen, ein andermal legte sie sich auf die Gleise – und rollte dann doch beim Geräusch des nahenden Zuges zur Seite. "Ich wollte einfach nur noch, dass alles aufhört, denn die frommen Schwestern haben uns Kinder nicht als Menschen behandelt."
    Weil ihre Mutter eine Affäre mit einem Ausländer verleugnen wollte, war Marion bereits mit sechs Monaten ins Heim gekommen. Den Vormund, der das entschied, hat sie niemals zu Gesicht bekommen. Sie nennt ihn einen "Schreibtischtäter", mitschuldig an einem System der unkontrollierten Kindesmisshandlung durch die vereinte Staats- und Kirchenmacht.
    Jugendliche wie Gisela und Marion wurden auch Opfer eines letzten wertkonservativen Aufbäumens der bundesdeutschen Gesellschaft für Zucht und Ordnung. Nachbarn oder Lehrer dienten den Jugendämtern als Denunzianten, meldeten etwa den "unordentlichen Lebenswandel" junger Töchter allein erziehender Mütter. Die Einweisungsgründe hießen: Herumtreiberei, Arbeitsplatzwechsel, Schuleschwänzen, Renitenz, sexuell haltlos.
    Der verbissene Kampf gegen die Jugendkultur von Rockmusik, Minirock und Opposition, erfuhr Gisela Nurthen schon bei ihren ersten Recherchen, forderte viele Opfer – "von denen die meisten, heute um die 50 Jahre alt, im Leben beeinträchtigt wurden".
    Kaum dem Dortmunder Vincenzheim entkommen, siedelte sie mit 21 Jahren sofort in die Vereinigten Staaten um, "nur weg von Deutschland". Erst vor wenigen Jahren kam sie nach Westfalen zurück. Auf Arbeits- und Sozialämtern, in Therapie- und Selbsthilfegruppen traf sie ehemalige Heimkinder, die nach und nach bereit waren, offen über ihr Schicksal zu sprechen. Gemeinsam wollen sie nun die Konfrontation mit ihrer Vergangenheit suchen.
    Dass dies auch neue Demütigungen bedeuten kann, hat Gerald H., 53, gerade erst erfahren. Ihn hatten seine christlichen Erzieher im Salvator-Jugendheim im westfälischen Hövelhof 1970 sechs Wochen lang in einen dunklen Bunker gesperrt. Der Jugendliche hatte versucht, dem Arbeitszwang, den ständigen Schlägen und Demütigungen der Salvatorianer-Brüder durch einen Fluchtversuch zu entgehen.
    Gerald H. will endlich über diese Zeit mit den verantwortlichen Kirchenleuten sprechen. Er hofft auf eine kleine Geste der Entschuldigung, der Wiedergutmachung. Ein Bruder Martin, erinnert er sich, habe ihn und die anderen ganz besonders sadistisch gequält. Doch Bruder Martin ruht heute auf dem Friedhof des Ordens.
    Zum ersten Mal seit 33 Jahren wagte sich der Schweißer Ende März wieder in das Salvator-Haus hinein. Die Baracken, in denen er einst schuftete, sind vollkommen renoviert. Der heutige Heimleiter, Franz-Josef Vullhorst, erlaubte ihm den Zutritt nur bis zur Pforte. Bunker und Schlafräume blieben tabu, "weil wir hier immer noch Kinder haben, da kann man nicht einfach so reingehen". Vullhorst ließ sich immerhin zur Aktensuche im Archiv überreden – und förderte dabei einen nicht vernichteten Ordner zu Tage.
    Gerald H., der kurz darin blättern durfte, war

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