SPIEGEL E-Book: Deutschland, Deine Reichen: Wer sind sie - und warum so viele? (German Edition)
auffälliger als ihr Chef.
Neulich hat die Sekretärin von Michael Otto online Klamotten bestellt für seine Tochter, die in Afrika Sozialprojekte betreut. Otto bekommt 15 Prozent Mitarbeiterrabatt. Wie jeder andere auch.
Er hat von Leuten gehört, die sich aus lauter Angst, mit ihrem Geld zu sehr aufzufallen, drei Autos von gleichem Typ und gleicher Farbe gekauft haben. So demonstrativ stellt Otto seine Bescheidenheit zwar nicht aus. Aber das Wildeste, was in den vergangenen Jahren in seinem Konzern passiert sein dürfte, war seine Abschiedsparty, als Otto an die Spitze des Aufsichtsrats wechselte. Damals traten Otto Waalkes und Melanie C. auf. "Es gibt sicherlich Leute, die denken, jemand wie ich nimmt morgens wie Dagobert Duck ein Geldbad in seinem Speicher. Dass das Geld weitgehend ja im Unternehmen gebunden ist, sehen viele nicht."
Michael Otto zweifelt weder an der Marktwirtschaft noch an der Idee steten Wachstums. Deren segensreiche Wirkungen erlebt er überall auf der Welt: "Vietnam zum Beispiel war vor 15 Jahren noch von Fahrrädern bevölkert. Heute sind es Mopeds. In zehn Jahren sind es wahrscheinlich Autos. Da merkt die Bevölkerung: Es geht voran. In Schwellenländern geht dank der Globalisierung die gesamte Entwicklung nach oben."
In Afrika ist er oft überrascht, wie fröhlich die Menschen dort sind, trotz Armut, Elend, Hunger und Bürgerkriegen. "Von Menschen, die kein Geld haben, kann man mental viel lernen", sagt er. Wenn er dann nach Hause zurückkehrt, in die Welt seiner Hermes-Boten, überfällt ihn schnell wieder deutsche Düsternis.
Er will jetzt etwas Nettes sagen über diese Nörgeligkeit: "Vielleicht hat gerade die uns global so vorangebracht. Weil wir nie zufrieden sind. Weil wir immer noch etwas verbessern wollen."
Es gäbe seiner Meinung nach auch zurzeit viel zu verbessern: an den teilweise extrem hohen Gehältern von Managern, am Renditedruck, der schon wieder zu diesen absurden Casino-Finanzprodukten führe, an der Politik, die es versäumt habe, die Finanzkrise für neue Regulierungsgesetze zu nutzen.
95 Prozent der Wirtschaft würden verantwortungsvoll handeln, sagt Michael Otto. "Aber so entsteht bei den Leuten ein Bild des Abzockertums, das ich sogar verstehe. Das Gefährliche ist diese Unzufriedenheit. Dieses Gefühl, dass die Mehrheit nicht mehr teilhat an der Entwicklung. Wenn dieses Gefühl der Ohnmacht die Mehrheit erobert … also …" Otto schluckt. "Dann wird es schwer für ein Land."
Hier oben, auf einem der spektakulär-unspektakulären Gipfel deutschen Wohlstands, sind die Klischees über Reiche weit weg, auch wenn deshalb niemand anfangen muss, Mitleid mit der finanziellen Elite der Republik zu bekommen. Es geht ihr besser denn je. Dank Globalisierung und Digitalisierung, dank Aktienboom, guter Produkte, Erfindungsreichtum und billigem Geld floriert die Exportnation.
Im Schnitt besitzt jeder Deutsche 57 000 Euro. Die Bundesbürger verfügen über knapp zehn Billionen Euro Vermögen in Geld und Immobilien, hat der Bankenverband jüngst errechnet. Europas Schulden ließen sich damit auf einen Schlag komplett bezahlen, auch wenn das nur eine theoretische Größe ist.
Reichtum lässt sich ja auch als Indikator begreifen für funktionierenden Wettbewerb, kraftvolles Unternehmertum oder ein innovationsfreundliches Klima. Trotzdem wird dem Geld hierzulande oft misstraut. Zumindest dem Geld der anderen, der Reicheren. Aus Neid?
Niemand neidete dem früheren Porsche-Chef Wendelin Wiedeking sein zweistelliges Millioneneinkommen, nachdem er den Sportwagenbauer vor dem Ruin gerettet hatte – bis den Manager der Größenwahn packte, VW übernehmen zu wollen. Niemand hatte sich über die Ländereien und Besitztümer der Familie von Karl-Theodor zu Guttenberg geärgert, bis er des lächerlichen Betrugs in seiner Dissertation überführt wurde.
Niemand missgönnt einem Spitzenverdiener im deutschen Profi-Fußball wie Bastian Schweinsteiger seine geschätzten zehn Millionen Euro pro Jahr – solange er tolle Pässe spielt und Tore schießt. Und als vergangene Woche publik wurde, dass VW-Chef Martin Winterkorn 2011 die Rekordsumme von 16,6 Millionen Euro verdiente, war der Betriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh einer der Ersten, die seinen Konzernchef dafür verteidigten.
Neid ist keine deutsche Erfindung. Und es geht im Ernst auch gar nicht um Verteilungs-, sondern um Chancengerechtigkeit. Ein Kind, das heute in einem Hochhaus von Hamburgs Trostlos-Viertel Osdorfer
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