Spiegelblut
durchzuführen, damit sie ihre Kräfte so schnell wie möglich bekam, dann könnten sie ihr Blut trinken und Remos Clan mit Leichtigkeit besiegen. Das wäre nicht nur das Ende der Seelenbrüder, sondern auch das der Lamiis Angelus. Und das der Menschheit. Nicht dass er so weit dachte und es ihm etwas ausmachte … er wollte nur nicht unsterblich danebensitzen!
Was würde Coco wirklich bei Remo erwarten?
Pontus sprang auf die Zinnen der Wehrmauer und balancierte von einer zur anderen, während er darüber nachdachte. Ein besserer Schutz, ja. Wäre Coco erst von Damontez getrennt, müsste dieser seine Gefühle nicht ständig unterdrücken. Wenn er sie also fortbrachte, zu Remo, könnte Damontez es sich endlich erlauben, Coco zu lieben, allein schon, um Remo daran zu hindern, ihr wehzutun; denn dieser würde Damontez’ Liebe zu ihr teilen. Bei Remo wäre sie vor Faylin sicher, sicherer als hier.
Aber was war mit Remos Nefarius? Konnte Remo Coco vor ihnen beschützen, wenn der Lockruf des Spiegelblutes stärker wurde? Wie lange dauerte es, bis sie sich mit ihrer Kraft selbst verteidigen konnte? Und was würde Remo, der die Liebe ebenso wenig kannte wie die Freundschaft oder das Mitgefühl, mit Coco anstellen, sobald er spürte, dass seine Liebe auf einen Widerstand stieß, der gewaltiger war als der Grand Canyon?
Pontus starrte in den Innenhof und kniff die Augen zusammen. Sein scharfer Blick fand Coco in der Bibliothek sitzend, die Nase in ein Buch gesteckt über … er zoomte sie näher heran … über die Siegel der Lichtträger. Verwundert schüttelte er den Kopf. Über Spiegelseelen hatte sie sicher nichts gefunden, es gab kaum Aufschriebe darüber, und die wenigen lagerten bei den alten Jägern. Wie der Fluch gebrochen wurde, musste das Spiegelblut herausfinden, er selbst wusste auch nur um die Seele, die vereint werden sollte.
Wehmütig beobachtete er jede ihrer Bewegungen, das Blättern, das Innehalten. Das lange Haar floss über das dunkle Holz, als sie kurz den Kopf auf den Tisch legte. Bestimmt war sie müde. Die Bibliothek des Sanctus Cor war mindestens zweihundert Quadratmeter groß, groß genug, um ein paar Worte mit ihr zu wechseln und nicht entdeckt zu werden. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er von den Zinnen auf die Wehrmauer zurücksprang. Damontez feilte gerade mit den Novizen an einer besonderen Kampftechnik, beim Lichtwechsel würde er unverzüglich seine Privaträume aufsuchen – was sprach also dagegen?
Er nahm den kürzesten Weg über den Nordturm. Die Lichtträger ließen ihn ungehindert eintreten, er galt als Damontez’ engster Vertrauter. Dessen strikter Befehl an Coco, im Beisein anderer Vampire den Blick zu senken und zu schweigen, bestand weiterhin. Aber die Lichtträger würden sich nicht daran stören. Die Wachen galten ihrem Schutz und nicht der Einhaltung der Regeln – und von den Vampiren war derzeit keiner in der Bibliothek.
Er machte sich mit lauten Schritten bemerkbar.
»Pontus!« Ihre violettblauen Augen strahlten. Ganz unverkennbar freute sie sich, ihn zu sehen, noch dazu lag darin der Reiz des Verbotenen, der alles nur verlockender machte. Kurz sah sie zur Tür. Die beiden Lichtträger standen mit dem Rücken zum Eingang, sie wähnten sie bei ihm in Sicherheit. Trügerisch! Nein, hör auf! Sie ist sicher!
Coco erhob sich, klemmte sich das schwere Buch unter den Arm und lief an den langen Regalen entlang, bis sie aus dem Sichtbereich der Tür trat. Sie war noch schmaler geworden, ihre zierliche Gestalt ertrank fast in seinem Kapuzenpullover, als sie vor ihm in einen kleinen Seitengang einbog.
»Damontez trainiert gerade ein paar …«, fing er an, aber sie ging gar nicht darauf ein und fiel ihm ins Wort.
»Remo und Damontez spiegeln sich, wenn sie sich gegenüberstehen! So wie du mich in der U-Bahn gespiegelt hast! Was ist das für ein Phänomen, Pontus?«
Sie sprach gedämpft und klang ungeduldig, etwas, das er so nicht erwartet hatte. Eigentlich hatte er gehofft, sie würde ihm um den Hals fallen, vor lauter Glück, ihn endlich wiederzusehen. Er selbst fühlte sich von ihrer Nähe regelrecht überrumpelt, er musste sehr an sich halten, um sie nicht mit seiner Zuneigung zu überfallen. Und die hektischen roten Flecken auf ihrem Gesicht trugen auch nicht unbedingt dazu bei, dass er sie weniger anziehend fand. Im Gegenteil.
»Hörst du mir überhaupt zu, Pontus?«, zischte sie jetzt leise.
Okay, dann eben nicht. Dann eben nur Fakten! »Hat Damontez es
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