Spiegelblut
durch den schmalen Lippenspalt. »Ich will ihn sehen!« Remo marschierte wie ein Befehlshaber an ihm vorbei, mit langen Schritten lief er Richtung der Kellergewölbe.
»Verflucht, Remo, mach, dass du hier wegkommst!«
»Ich bin neugierig. Es ist seltsam, für jemanden Freundschaft zu empfinden, den man nicht kennt. Du zwingst sie mir auf! Ist er jung? Blond?«
»Du redest, als wäre er mein Geliebter!«
»Ist er es? Nimmst du ihn dir?«
Damontez schüttelte hinter ihm nur den Kopf. Er sah aus, als hätte er am liebsten verächtlich auf den Boden gespuckt.
»Remo, ich bitte dich, tue ihm nichts.«
»Hör auf zu betteln wie eine Magd.«
»Ich bettle nicht, Arschloch!«
»Die menschlichen Schimpfwörter passen nicht zu dir, Damontez. Fluche auf Latein, wenn es denn sein muss.« Remo lief voran, als würde er den Weg kennen.
»Ist Dorian eine Spiegelseele?«
»Woher weißt du, dass er hier unten ist?«
»Wegen der Raumkrümmer. Du würdest ihn niemals über Normalnull allein lassen. Wir wissen beide, dass der Meeresspiegel die Grenze der Engelmächte ist! Und somit auch die der Weltlinienkrümmer.«
»Vielleicht ist er nicht allein!«
»Schlechter Lügner!« Remo lachte gehässig und rannte nur noch schneller.
»Remo, bitte …«
Nein, das war zu privat! Ich drängte die Bilder zurück, konzentrierte mich auf das zarte Flimmern zwischen mir und Damontez, doch ohne Bilder gelang es mir kaum, und ich spürte, wie sich die Spiegelung löste.
Damontez’ Rücken bog sich immer noch, aber weniger heftig und mit zunehmender Kontrolle. Das Narbengeflecht verlor an Glut, die Hitze schwand und hinterließ kohlschwarze kalte Linien, die mit nichts vergleichbar waren, das ich je gesehen hatte. Die Narben wirkten frisch und alt. Lichtdurchflutet und finster. Wenn sie wirklich bei jedem Lichtwechsel wieder aufrissen, würden sie tatsächlich niemals heilen.
Mit einem letzten Zucken sank er auf den Boden, den Kopf in meine Richtung gedreht. Die Arme angewinkelt daneben, lag er so still da, als würde er schlafen, selbst seine Augen waren geschlossen. Ich konnte nichts für ihn tun und wäre doch in diesem Moment bereit gewesen, alles zu geben, damit er nie wieder dieser Tortur ausgesetzt wäre. Noch ganz benommen stand ich auf, holte einen Fetzen seines T-Shirts und wischte mit dem Stoff das Blut vom Boden. Das an seiner Stirn war bereits getrocknet und mit einer Haarsträhne verklebt, die sich aus seinem Zopf gelöst hatte. Ich zögerte kurz, dann ging ich zum Kamin und schleifte das dicke Schaffell und meine Decke direkt neben ihn. Erschöpft ließ ich mich darauf sinken.
In den nächsten Minuten saß ich einfach nur dort und betrachtete sein Gesicht, seinen Körper, als sähe ich ihn zum ersten Mal. Selbst mit den Zeichen der Verwandlung fand ich Damontez schön, vielleicht sogar noch schöner, weil es ganz unverschleiert zeigte, was er war. Aber es war nicht sein Äußeres, das mich jetzt so fesselte, sondern sein ganzes Wesen, das sich mir in all seiner Tiefe immer weiter erschloss. Als wäre ich zuvor tatsächlich blind gewesen und könnte nun sehen.
Meine Finger kribbelten. Ich wollte ihn berühren. Vorsichtig fuhr ich mit dem Ringfinger über den Ansatz seiner Haare, löste eine blutverklebte Strähne von der Stirn und schob sie hinter sein Ohr. Tastete mich mit bebenden Fingern zurück, immer am Ansatz der schwarzen Haare entlang. Wärme rieselte meine Wirbelsäule herab wie feiner Sand. In der Mitte der Stirn bildete der Ansatz eine symmetrische Spitze, ich strich hinunter zur Nasenwurzel und von dort über das geschlossene Augenlid.
Zack! In einer blitzschnellen Bewegung, die ich in diesem Moment gar nicht erwartet hatte, fing er meine Hand und hielt sie mit dem Handrücken nach unten am Boden fest. Die Finger mit den silbernen Klauen ragten weit über meine hinaus. Atemlos blieb ich ganz still sitzen. Er drehte sich auf die Seite.
»Tu das nicht«, murmelte er sanft, aber der Griff um meine Finger war von seiner üblichen Härte.
»Warum nicht?« Meine Stimme klang anders als sonst, dunkler.
»Leg dich einfach neben mich und schlafe. Das ist ein Befehl.«
Ohne dass er meine Hand freigab, rutschte ich auf das Fell und rollte mich ihm zugewandt auf die Seite. Mit der freien Hand verteilte ich die Decke über uns beiden, wenngleich ich wusste, dass er nicht fror. Seinen Rücken sparte ich aus.
»Aber Menschen können nicht auf Kommando schlafen«, wiederholte ich Shannys Worte.
»Das ist mir egal«,
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