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Spiegelriss

Spiegelriss

Titel: Spiegelriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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willst du jetzt eigentlich genau hin?«, fragt sie unfreundlich.
    »Hm?«
    »Du wolltest ins Zentrum. Du bist im Zentrum. Soll ich dich an einen bestimmten Ort fahren?«
    Ich sammele die Stücke der zerrissenen Zeitungsseite ein und falte sie vorsichtig.
    »Ja«, sagte ich. »Ich weiß zwar nicht, ob da noch jemand ist. Aber fahr mich bitte…. Kennst du die Siedlung, die nach Z kommt?«
    Appolonia schüttelt scheinbar emotionslos den Kopf, holt ihr Navi heraus und beginnt, die Adresse einzutippen. Als auf dem Bildschirm der Stadtplan auftaucht, in dem mehrere rote Punkte aufleuchten, runzelt sie die Stirn. »Da wohnen aber Freaks.«
    »Ich weiß«, sage ich. »Ich hatte mal Freunde dort.«
    Sie sieht mein Armband an, dann schaut sie mir ins Gesicht.
    »Ich war normal«, sage ich, um sie zu beruhigen. »Zumindest dachte ich, dass ich das bin. Bis ich das Gegenteil herausgefunden habe. Wolltest du das wissen?«
    Sie schüttelt den Kopf. »Dann bist du auch eine von ihnen«, sagt sie und ihre Lippen zittern.
    Ich seufze. Ich fühle mich seltsam, als wäre ich schuld an den schrecklichen Dingen, die sie erlebt hat, an dem Verlust, den sie erlitten hat und den ich nur erahnen kann. Und plötzlich habe ich keine Lust mehr, ihr etwas vorzuspielen. »Ich bin schon alles gewesen«, sage ich. »Man hat mich für alles Mögliche gehalten. Für eine Normale, für einen Freak. Sogar für eine Phee.«
    Sie dreht sich zu mir. Die gerunzelte Stirn verleiht ihrem abgekämpften Gesicht etwas Kindliches. Und dann erkenne ich es in ihren Augen. Sie erinnert sich an mich.
    Sie schüttelt den Kopf und versucht, ein Wort herauszubringen. Ich strecke meinen Arm aus, die Geste soll beruhigend sein, aber Appolonia weicht zurück.
    »Keine Angst«, sage ich, »glaub nicht alles, was du gehört hast. Das bin einfach ich und ich kann nicht so schlimm sein.«
    »Ich bin so blöd«, murmelt sie. »Und du hast dich verändert. Ich hab vorher schon gedacht, diese Juli sieht immer anders aus, ich kann mich an sie gar nicht erinnern und bei all den Aufnahmen im Fernsehen war es, als hätten sie jedes Mal ein anderes Mädchen genommen…«
    »Jedes Mal ein anderes?«, unterbreche ich sie. »Wieso das?«
    »Geh weg von mir«, schreit sie plötzlich. »Du bist doch längst tot!«
    »Nein«, brülle ich. »Lebendiger als du bin ich auf jeden Fall!« Und bevor ich ihr vorschlagen kann, mich noch mal zu berühren, um sich zu vergewissern, dass ich aus Fleisch und Blut bin – als hätte unser Kampf im Staub dazu nicht ausgereicht –, reißt sie plötzlich die Fahrertür auf und springt heraus.
    »Komm mir nicht zu nah!«, brüllt sie und versucht rückwärtszulaufen. Dabei stolpert sie, lässt mich aber nicht aus den Augen.
    Ich begreife, dass sie jetzt fliehen wird, verängstigt und wahnsinnig, und dass ich aus ihrem Auto steigen muss, sonst lässt sie es einfach stehen und haut ab.
    Ich klettere vom Beifahrersitz herunter, streiche dabei noch mal voller Bedauern über das warme Leder. Irgendwie muss ich allein weiter.
    »Ich gehe schon. Komm zurück zum Wagen«, rufe ich.
    Aber sie ist bereits außer Sichtweite.
    Ich wische mir den Schweiß von der Stirn und laufe in die entgegengesetzte Richtung.
    Ich denke an Ksü, während ich einen Fuß vor den anderen setze. Ich bilde mir ein, dass alles einfacher wäre, wenn sie bei mir wäre. Wenn wir immer noch zusammen wären wie damals, vor dem Brand, bevor ich im Schlafanzug kopfüber aus dem Quadrum geflogen war. Auf der anderen Seite habe ich Angst, dass ich etwas nachtrauere, was vermutlich unwiederbringlich verloren ist. Ich stelle mir vor, die Ksü von heute an meiner Seite zu haben, ein fremdes, gereiztes Wesen, und ich schärfe mir ein, mich nicht so sehr am veränderten Äußeren zu stören, wenn ich sie denn endlich wiedergefunden habe. Werden wir jetzt mehr streiten? Werde ich ihr Dinge erklären müssen, während es früher meistens sie war, die mich geführt hat? Wie soll das gehen?
    Ich muss auch kurz an Kojote denken, der mich bei meinem letzten Streifzug durch die Stadt begleitet hat. Ich bin froh, dass ich nur so wenig Zeit mit ihm verbracht habe. Sonst würde ich ihn womöglich auch vermissen und ich weiß gar nicht, ob ich mir das erlauben darf.
    An Ivan denke ich nicht mehr, denn sobald dieser Name in meinen Gedanken auftaucht, klafft dort sofort eine blutige Wunde.
    Ich gehe durch die Straßen, viel zu langsam, weil ich mich umschaue und mir jede Veränderung einprägen will. Manches ist

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