Spiegelschatten (German Edition)
kaum noch aushalten konnte, zwang er es, ihm zu gehorchen.
» Da sind wir, Björn. Nur du und ich.«
Er hob die Hände, seine starken, zuverlässigen Hände.
» Ich werde es dir leicht machen und dir einen schnellen, zärtlichen Tod schenken.«
Einen zärtlichen Tod, dachte er. Wie wunderschön.
Die Empfindungen glitten über Björns Gesicht hinweg. Das Entsetzen verschwand und machte dem Begreifen Platz. Danach der Trauer.
Zärtlich, wie er es versprochen hatte, legte er Björn die Hände um den Hals und drückte zu.
Björn wehrte sich nicht.
*
Endlich begriff Björn.
Maxim…
Er sah die Tränen auf Maxims Gesicht. Den Hass. Und die Liebe in seinen Augen.
Maxim…
Er spürte, wie er ihn verlor.
Vergeblich rang er nach Luft. Die Augen traten ihm aus den Höhlen. Der Schmerz war ungeheuerlich.
Maxim…
Plötzlich nahm Maxim die Hände weg.
Er schrie voller Qual.
Warf sich herum und schlug mit den Fäusten in sein Spiegelbild, so oft und so hart, dass es in einem Regen von Scherben zersplitterte.
Dann sank er zu Boden. Nahm eine lange, spitze Scherbe . Und setzte sie an seiner Pulsader an.
*
Im Haus war Licht. Romy sprang aus dem Wagen, noch bevor er richtig zum Stehen gekommen war. Der Sturm warf sich fauchend auf sie und riss sie beinah um. Beide Füße fest auf der Erde stemmte sie sich gegen ihn.
Ingo nahm ihre Hand und gemeinsam arbeiteten sie sich zur Haustür vor. Romy klingelte. Ihr war bang zumute. Schon lange hatte sie nicht mehr mit den Zähnen geknirscht, nun tat sie es. Augenblicklich verkrampften ihre Kiefer.
Es war eine Tür mit blickdichtem Sicherheitsglas, das lediglich einen schwachen Lichtschimmer nach außen ließ. Dahinter schien sich nichts zu bewegen. Niemand kam, um zu öffnen.
Romy spürte ein Kribbeln im Nacken.
» Komm!«, rief sie und zog Ingo, so schnell der Sturm es erlaubte, zu dem hellen Fenster, hinter dem sie das Wohnzimmer vermutete.
Die Rollläden waren nicht heruntergelassen, und der Raum lag vor ihnen wie eine erleuchtete Bühne. Ein Fernseher lief, ohne dass jemand zuschaute. Romy sah eine Decke auf dem Sofa und Medikamente auf dem Couchtisch.
» Vielleicht schlafen sie schon«, rief Ingo gegen den Sturm an.
» Und haben den Fernseher und das Licht angelassen?«
In diesem Moment hörten sie einen Schrei. Er ging Romy durch Mark und Bein.
» Björn!«, rief sie. » Maxim!«
Der Schrei wollte nicht aufhören, schien sich endlos fortzusetzen. Panisch hämmerte Romy mit den Fäusten gegen die Fensterscheibe, die nass und schmutzig war und an der tote Blätter klebten.
Ingo zerrte sie zurück.
» Das hat keinen Sinn!« rief er. » Warte!«
Er kämpfte sich zu seinem Cabrio vor und kam kurz darauf mit einem Wagenheber zurück.
» Aus dem Weg!«, rief er, und Romy trat beiseite.
Mit einem ohrenbetäubenden Knall, der selbst den Sturm übertönte, zerbarst das Glas. Ingo schlug so lange mit dem Wagenheber zu, bis keine gefährlichen Zacken mehr übrig waren, die sie beim Einstieg verletzen konnten.
Dann standen sie im Wohnzimmer und horchten.
Kein Geräusch. Keine Bewegung.
Vorsichtig gingen sie auf die Tür zu. Bei jedem Schritt knirschte das Glas unter ihren Schuhen.
*
Björn war auf die Knie gesunken.
Gierig trank er die rettende Luft.
Er hielt sich den Hals, hustete, bis er würgen musste und die Tränen ihm aus den Augen liefen. Sein Kehlkopf schmerzte, als hätten Maxims Hände ihn zerquetscht.
» Nicht…«, krächzte er und kroch auf Maxim zu. Glasscherben drückten sich in seine Knie, bohrten sich in seine Hände. Er achtete nicht darauf.
Maxim hatte sich die linke Pulsader aufgeschnitten. Das Blut lief ihm über die Hand und tränkte die Scherben auf dem Fliesenboden.
Björn riss ein Handtuch vom Handtuchhalter und robbte zu Maxim, so schnell er konnte. In seinem Hals explodierte der Schmerz. Seine Augen brannten.
» Maxim… oh Gott, Maxim…«
Blutung stoppen. Nachbar. Notarzt. Krankenhaus. Kurze, knappe Befehle an sein Gehirn, das ihn im Stich lassen wollte.
Maxim schien die Besinnung verloren zu haben. Der Kopf war ihm auf die Brust gesunken. Sein Mund war leicht geöffnet. Die Augen waren geschlossen.
Endlich hatte Björn ihn erreicht. Er faltete das Handtuch zusammen und schlang es fest um Maxims Arm. Dann lehnte er sich gegen die Wand und zog Maxim an sich.
Er heulte Rotz und Wasser.
Und draußen tobte der Sturm weiter, als wär nichts geschehn.
*
Das Badezimmer sah aus wie ein Schlachtfeld. Der Wandspiegel war
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