Spiegelschatten (German Edition)
Pschsch«, hat sie gesagt, » pschsch…«
Sie hat nichts gefragt. War einfach da.
Nach einer Weile hab ich mich von ihr gelöst. Und ein Lächeln versucht. Es muss ziemlich kläglich ausgefallen sein, denn Helens Stirn hat sich in lauter Falten gelegt.
» Soll ich heute Nacht bei dir bleiben?«
Ich hab den Kopf geschüttelt.
» Bist du sicher?«
Ich hab genickt.
» Ganz sicher, dass du allein zurechtkommst?«
Ich hab wieder genickt.
» Soll ich dir einen schönen Beruhigungstee machen?«
Helen, die Heilerin. Immer, wenn es einem von uns schlecht geht, ist sie mit ihren Tees, ihren Salben, ihren Tropfen und Heilsteinen zur Stelle. Und mit ihren Händen, die fast jeden Schmerz erspüren und lindern können.
Doch gegen meinen Schmerz, liebe, liebe Helen, ist kein Kraut gewachsen.
Ich hab den Kopf geschüttelt.
Da hat Helen mir die Tüte mit den reduzierten Sachen, die sie mir aus ihrem Laden mitgebracht hatte, dagelassen und ist gegangen.
Lusina.
Ich habe es vom ersten Moment an gewusst: Dieses Mädchen wird unserer Liebe gefährlich.
Immer wieder habe ich es mir ausgeredet. Mein Verstand hat mir schließlich geglaubt, aber mein Herz hat sich nicht hinters Licht führen lassen. Ich bin Begegnungen mit ihr aus dem Weg gegangen. Wollte nicht begreifen, was doch so offensichtlich war…
Mir ist schlecht. Ich fühl mich krank. Vielleicht hab ich sogar Fieber.
Aber du weißt doch gar nicht, ob Cal wirklich …
Todsicher. Wenn ich nicht auf mein Gefühl vertrauen kann, worauf dann?
Auf die Vernunft beispielsweise.
Scheiß auf die Vernunft! Man braucht sich Lusina doch nur anzugucken, um zu wissen, wie faszinierend sie für Cal sein muss.
Diese innere Stimme, die sich immer einmischt, wenn ich sie am wenigsten brauchen kann. Die alles, was ich tue, infrage stellt. Die meistens auf der Seite der andern ist.
Diesmal auf Cals.
Meinst du nicht, du hast ein bisschen überreagiert?
Vielleicht hätte ich mir tatsächlich anhören sollen, was er zu sagen hat. Immerhin hat er ständig versucht, mich zu erreichen.
Was natürlich auch Zeichen eines schlechten Gewissens sein kann.
Das hasse ich besonders, wenn meine innere Stimme auf einmal ohne Vorwarnung die Seiten wechselt. Damit macht sie mich fertig.
Wieso ist auf einmal alles so kompliziert? Warum konnte es nicht bleiben, wie es war? Cal hat mich geliebt und sich von mir lieben lassen. Verlange ich zu viel, wenn ich mir wünsche, dass das wieder so sein soll?
» Lass uns feiern«, sagte Maxim, das Gesicht noch weich von Schlaf. » Zum Abschied.«
Er hatte beschlossen, nur noch diesen einen Tag zu bleiben und am nächsten Morgen abzureisen.
Björn lächelte tapfer, um ihn nicht zu verärgern. Maxim verabscheute Sentimentalität, vor allem auf nüchternen Magen.
» Kannst du nicht noch…«, begann er dennoch vorsichtig.
» Björn… bitte… ich bin schon länger geblieben als geplant, und wir hatten vereinbart, locker damit umzugehen.«
Hatten sie nicht. Maxim hatte das ganz für sich allein beschlossen.
Locker.
Björn durfte gar nicht daran denken, dass Maxim nach Berlin zurückkehren würde. In sein Leben ohne ihn– und mit Griet.
» Lass uns ins Kino gehen«, schlug Maxim vor. » Und anschließend zum Italiener. Oder wir laden ein paar Freunde ein. Na? Was hältst du davon?«
Feiern. Zum Abschied.
Vielleicht auf einem Friedhof, dachte Björn, das könnte passen. Er ärgerte sich selbst über seine Wehleidigkeit.
» Sei doch nicht so tragisch«, sagte Maxim da auch schon. » Du nimmst immer alles so furchtbar schwer.« Er zog Björns Kopf zu sich heran und sah ihm in die Augen. » Du weißt doch, was ich für dich empfinde«, flüsterte er. » Und daran wird sie nie etwas ändern.«
Weiß ich das?, dachte Björn. Weiß ich das wirklich?
Es gab unendlich viele Begriffe, mit denen man Maxim beschreiben konnte. Treu gehörte ebenso wenig dazu wie zuverlässig oder beständig.
Maxim küsste ihn, und alles, was Björn durch den Kopf geschwirrt war, verflüchtigte sich.
Willenlos fühlte er sich.
Ausgeliefert.
Nicht einmal gegen seine Gefühle konnte er sich wehren.
Er versuchte, den nahenden Abschied auszublenden. Den Augenblick zu genießen. Die Nähe zu Maxim. Die Zärtlichkeit. Das Verlangen. Doch die ganze Zeit lauerte in einem fernen Winkel seines Kopfes ein Gedanke, vor dem er sich mehr fürchtete als vor irgendetwas sonst:
Liebe und Hass lagen so nah beieinander wie Leben und Tod, wie Schatten und Licht.
Er schloss die Augen und
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