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Spiegelschatten (German Edition)

Spiegelschatten (German Edition)

Titel: Spiegelschatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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hätte ich mich schwerlich für ihn entschieden.«
    Meinhardts ablehnende Haltung ärgerte Bert allmählich. Sie hatten genug zu tun, auch ohne einem überheblichen Professor mühsam die Würmer aus der Nase ziehen zu müssen.
    » Haben Sie Veränderungen an ihm festgestellt?«
    » Veränderungen?«
    » An seinem Verhalten, seinem Äußeren, seinem Wesen.«
    » Nein.« Meinhardt schüttelte den Kopf. » Er war wie immer.«
    » Wussten Sie, dass er homosexuell gewesen ist?«
    » Er hat es nie verborgen.«
    » Erstaunlich«, sagte Rick. » Hatte er keine Angst vor Repressalien?«
    » Ich bitte Sie! Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert und sind hier nicht beim Militär. Selbst wenn wir uns mit der Literatur vergangener Epochen beschäftigen, sind wir doch nicht so antiquiert, wie Sie offenbar meinen.«
    Rick beugte sich angriffslustig vor. » Hat Ihre reservierte Haltung uns gegenüber einen bestimmten Grund?«
    Die Antwort war ein eisiger Blick.
    » Wenn Sie keine weiteren Fragen haben«, sagte Meinhardt, » würde ich mich gern wieder meiner Arbeit widmen.«
    » Was war das denn?«, fragte Rick, als sie wieder auf dem Flur standen, einen Zettel mit drei Namen und den dazugehörigen Anschriften und Telefonnummern in der Hand, die ihnen die Sekretärin aufgeschrieben hatte.
    » Gestörte Kommunikation«, sagte Bert. » Besonders zwischen euch beiden.«
    » Das ist ein richtiger Kotzbrocken«, verteidigte sich Rick. » Mit solchen Leuten kann ich einfach nicht.«
    Ricks Ungeduld würde sie Zeit kosten, denn es würde ein zweites Gespräch mit dem Professor nötig sein, vielleicht sogar ein drittes. Mit ein wenig Fingerspitzengefühl hätten sie sich das möglicherweise ersparen können.
    » Tut mir leid«, sagte Rick zerknirscht. » Ich hab’s versägt. Es ist meine Schuld, dass er dichtgemacht hat.«
    » Er ist kein einfacher Fall.«
    » Ich hasse diese arroganten Schnösel, die immer so tun, als hätte man seine Kindheit in der Gosse verbracht und als würde man immer noch danach riechen.«
    Das war Ricks Problem? Bert warf ihm einen forschenden Blick zu. Ricks Stimme hallte zwischen den fleckigen Wänden wider, doch er dämpfte sie nicht.
    » Eingebildeter Fatzke!«, schimpfte er. » Das muss ich mir nicht bieten lassen! Nicht von einem wie dem!«
    Er geriet immer mehr in Rage und zeterte noch, als sie den Innenhof durchquerten. Ein Kaffee, überlegte Bert, würde ihnen beiden guttun. Und so nahm er Rick am Arm und dirigierte ihn in das nächstgelegene Café.
    *
    » Hast du noch ein bisschen Zeit, Cal?«
    Lusina hängte sich ihre Tasche über die Schulter, legte den Kopf schief und strahlte Calypso an.
    » Ich würd dich gern zu einem Cappuccino einladen oder zu einem Eis oder wir könnten bummeln oder quatschen oder alles zusammen. Hast du Lust?«
    Wie konnte sie fragen? Sie musste doch wissen, wie er es liebte, in ihrer Nähe zu sein.
    Und wie er es hasste.
    Weil es ihm Schuldgefühle machte.
    Er hatte sich Romy nicht anvertraut. Verschwieg ihr, wie sehr er sich von diesem Mädchen angezogen fühlte. Wie würde sie darauf reagieren, wenn er es ihr sagte?
    Lusina wartete nicht auf eine Antwort. Sie sah ihm nur ins Gesicht und nahm ihn an der Hand. Ihre Berührung setzte ihn unter Strom. Für einen Moment stockte ihm der Atem.
    Das Haupthaus des Orson war ein alter Gutshof in Nideggen, von Köln aus mit Bus und Bahn schwer zu erreichen. Die Schüler hatten deshalb Fahrgemeinschaften gebildet, und weil Calypso kein Auto besaß, lieh er sich manchmal Romys Fiesta aus, um seinen Teil zu der Fahrgemeinschaft beizutragen.
    Heute hatte Lusina außer der Reihe ihren eigenen Wagen mitgebracht. Sie tat das manchmal, wenn sie das Bedürfnis hatte, unabhängig zu sein. In der Reihe ihrer Vorfahren musste es Vogelmenschen gegeben haben. Lusina war stolz und selbstbewusst. Sie ließ sich nicht die Flügel stutzen und erst recht nicht in einen Käfig sperren.
    Sie brauchten sich also nicht zu beeilen.
    Das alte Gebäude stand in einem Park, groß genug, um sich darin zu verlaufen. Calypso ging beim Nachdenken gern auf den schmalen Wegen spazieren. Er kannte inzwischen jeden Stein, jeden Maulwurfshaufen und jeden Zweig.
    Es war kalt, und das zögerliche Nachmittagslicht fiel von oben auf sie herab. Lusina wickelte sich ihren bunten Schal um den Hals. Ihre Hände steckten in fingerlosen Handschuhen, die selbst gestrickt aussahen, obwohl Calypso bezweifelte, dass Lusina etwas so Altmodisches wie die Kunst des Strickens

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