Spiegelschatten (German Edition)
Reden brachte. Sie trank ein paar Schlucke und betrachtete ihn über den Rand ihrer Tasse hinweg. Er schien einer von der zugeknöpften Sorte zu sein. Eine senkrechte Falte über seinem Nasenrücken deutete auf häufig unterdrückte Wut hin oder auf ein hohes Maß an Nachdenklichkeit.
Er nippte an seiner Cola, schaute zum Fenster hinaus in diesen trüben Morgen, der sich noch nicht entschieden hatte, ob er schön werden wollte oder nicht.
» Leonard Blum«, sagte er, als Romy die Hoffnung schon aufgegeben hatte und eben überlegte, sich ein anderes Opfer zu suchen. » Ich hab ihn nicht gekannt, hab mit seinem Fach nichts zu tun. Aber natürlich reden alle hier von nichts anderem.«
» Klar.«
» Ich bin übrigens Will.«
Er zeigte ein unentschlossenes, verlegenes Grinsen.
» Und ich heiße Romy.«
Sie fand, dass der Typ und sein Name nicht kompatibel waren.
» Offenbar war Leonard Blum ziemlich beliebt bei seinen Studenten«, plauderte Will aus dem Nähkästchen. » Es gab einige Mädels, die geheult haben, nachdem sich das mit dem Mord rumgesprochen hatte.«
Romy misstraute Typen, die Worte wie Mädels benutzten. Ihre Tasse war fast leer, und sie hatte große Lust, Will hier sitzen zu lassen und sich augenblicklich auf den Weg zu Björn zu machen.
» Wie schnell sich Katastrophenmeldungen verbreiten«, sagte sie. » Es ist doch erst gestern passiert.«
» Bonn ist Provinz«, antwortete Will. » Hier funktionieren die Buschtrommeln noch.«
Wie weltmännisch, dachte Romy ironisch. Ihr war klar, dass sie diesem Will keine Chance gab, sich ihren Respekt zu verdienen, und eigentlich war das nicht in Ordnung.
» Wer bringt denn einen um, der an der Uni arbeitet?«, fragte sie.
Ein belustigtes Lächeln breitete sich auf Wills Gesicht aus.
» Logisch«, korrigierte sie sich schnell, » Morde passieren überall, aber irgendwie erwartet man das nicht an einem Ort der… Wissenschaft.«
Wills Lächeln wurde breiter. Zu Recht. Sie redete sich wieder mal um Kopf und Kragen. Dazu neigte sie, wenn sie mit einem zusammensaß, der die Zähne nicht auseinander bekam. Sie beschloss, für eine Weile den Mund zu halten.
Es wirkte.
» Die Leute an der Uni sind auch nicht viel anders als der Durchschnittsbürger«, behauptete Will. » Und selbst diejenigen, die ihre Tage mit klugen Büchern verbringen und lauter schöngeistige Gespräche führen, erleben Abende und Nächte, die sie in eine komplett andere Wirklichkeit katapultieren.«
Abende? Nächte? Romy beugte sich interessiert vor.
» In jedem lauern Abgründe«, fuhr Will fort. » Bildung macht die Menschen ja nicht besser. Sie kultiviert sie nur.«
Romy gestand sich ein, dass sie diesen Typen unterschätzt hatte. Sie fing an, sich zu schämen.
» Was nichts anderes bedeutet, als dass sie lernen, ihre Rohheit unter guten Manieren zu verbergen«, sagte Will. » Bei exquisitem Essen und teurem Wein lässt es sich prima über Kultur und Politik schwadronieren. Und anschließend prügelt man in der Abgeschiedenheit des gepflegten Eigenheims seine Frau.«
» Hast du selbst solche Beobachtungen gemacht?«, fragte Romy.
Greg hatte ihr beigebracht, immer nachzufragen, nichts als gegeben hinzunehmen, erst recht keine theoretischen Erklärungen.
Will senkte den Blick. Er schien mit sich zu kämpfen. Schließlich sah er Romy beinah trotzig in die Augen.
» Mein Vater ist Professor für Psychologie in Freiburg. Das Leben zu Hause war die Hölle.«
Romy glaubte ihm jedes Wort. Sie hütete sich, ihn zu unterbrechen.
» Sein Arbeitszimmer war das reine Chaos. Weil die Regale überquollen, stapelten sich die Bücher und Papiere auf dem Boden. Meine Mutter durfte keine seiner Unterlagen anfassen, dennoch erwartete mein Vater, dass in seinem Zimmer absolute Sauberkeit herrschte. Zusammen mit unserer Putzfrau versuchte meine Mutter, das Unmögliche möglich zu machen. Die ei ne hie lt die Papiere fest, die andere saugte vorsichtig drum herum.«
Will fuhr sich mit den Fingern über die Oberlippe, auf der sich Schweiß gebildet hatte. Er fixierte einen Punkt draußen, den er nicht aus den Augen ließ.
» Aber irgendwas ging immer schief. Ein Brief wurde verschoben, ein Blatt Papier geknickt. Und am Abend dann ließ mein Vater seinem Zorn freien Lauf.«
Romy sah Wills Mutter vor sich. Wie sie die Arme hob, um ihr Gesicht zu schützen. Sie sah, wie Wills Vater ihr die Arme herunterriss, sah seine Faust, die das erschrockene Gesicht traf, hörte das Nasenbein brechen.
»
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