Spiegelschatten (German Edition)
Meine Mutter hat es nicht geschafft, ihn zu verlassen. Und mein Vater verfasst weiterhin hochgelobte Abhandlungen über die menschliche Psyche und ihre Verletzungen, die ihn international bekannt gemacht haben. Im Lauf der Jahre hat er die Misshandlungen meiner Mutter so verfeinert, dass keine Spuren zurückbleiben, die sie nicht unter Make-up oder Kleidung verstecken kann.«
Romy dachte an Greg, der ihr einmal gesagt hatte, sie habe etwas an sich, das zweifellos jeden dazu bringe, ihr sein Herz auszuschütten. Wieso bereitete ihr das jetzt so ein schlechtes Gewissen?
» Ich weiß also, wovon ich rede.« Will nahm einen großen Schluck von seiner Cola. Dann hatte er sich wieder gefangen. Romy konnte einen Anflug von Misstrauen in seinem Blick erkennen. » Ich hab dich hier noch nie gesehn«, sagte er. » Was studierst du?«
» Ich werde Journalistin«, wich Romy aus.
» Und recherchierst wegen des Mordes an Leonard Blum«, vermutete Will messerscharf.
Romy beschloss, ihn nicht anzulügen. Sie nickte.
» Und wieso hast du ausgerechnet mich angesprochen?«
» Zufall.«
» Du bist zu ehrlich«, sagte er. » Das könnte dir mal schaden.«
» Es gibt auch ehrlichen Journalismus«, widersprach Romy.
Er musterte sie nachdenklich.
» Jedenfalls glaube ich das«, setzte sie hinzu.
Will schien einen Entschluss gefasst zu haben. Er trank seine Cola aus und stand auf.
» Blum war schwul«, sagte er. » Er war ein schwuler, sensibler, offenbar ziemlich anständiger Typ. Mehr weiß ich nicht über ihn.«
Er griff nach dem Leinenbeutel, hob die Hand zum Abschied und trottete davon. Romy blieb mit dem Gefühl zurück, auf der ganzen Linie versagt zu haben.
Vor allem menschlich.
Das machte ihr schwer zu schaffen.
5
Schmuddelbuch, Mittwoch, 2. März, zehn Uhr dreißig
Uni Bonn. Gespräch in der Cafeteria mit Will, einem Studenten. Die ersten Schnipsel für mein Bild von Leonard Blum, dem Mordopfer. Laut Will war er sensibel, anständig, beliebt und schwul. Eigentlich sollte ich an diesem Punkt weitermachen, aber zuerst muss ich zu Björn. Bitte, lieber Gott! Mach, dass es ihm gut geht und ich mich umsonst aufrege ! Und dass ich nicht ausflippe, wenn er mir sagt, dass er einfach Besseres zu tun hatte, als mit mir zu telefonieren!
Danach werde ich überlegen, was ich mit dem Rest des Tages anfange. Vielleicht weiß Björn ja sogar etwas über den Mord.
Unmittelbar nach der Befragung der Hausbewohner hatten Bert und Rick sich auf den Weg gemacht, um Leonard Blums Eltern aufzusuchen, die in einem unscheinbaren Haus in Jülich lebten. Es war immer schwer, Menschen die Nachricht vom Tod ihres Kindes zu überbringen, aber in diesem Fall war es fast unerträglich gewesen.
Ein Abend und eine Nacht waren vergangen, doch Bert hatte das Erlebnis noch immer nicht abgeschüttelt.
Reinhard Blum, der in Folge eines schweren Schädel-Hirn-Traumas an Depressionen und Verwirrtheitszuständen litt, hatte ihrem Gespräch kaum folgen können. Selbst seine Frau Barbara, die wie versteinert neben ihm auf dem Sofa gesessen hatte, war nicht in der Lage gewesen, ihm zu vermitteln, was geschehen war. Mit großen Augen hatte sie Bert und Rick angestarrt, die Hände kraftlos auf dem Schoß.
» Wer ist tot, Barb?«
» Herr Blum«, hatte Bert ihm behutsam zu erklären versucht, » es geht um Ihren Sohn. Um Leonard.«
» Barb?« In Reinhard Blums Augen war kein Anzeichen eines Begreifens gewesen. » Wer sind diese Leute? Ich kenne sie nicht.«
Das angstvolle Drängen in seiner Stimme ließ Barbara Blum die Hand heben. Ihre Finger umschlossen die ihres Mannes. Die Haut spannte weiß über ihren Knöcheln.
Bert schätzte Reinhard Blum auf Ende sechzig. Seine Frau schien fünf, sechs Jahre jünger zu sein. Sie machte auf ihn den Eindruck einer Frau, die daran gewöhnt war, die meisten Entscheidungen allein zu treffen. Was auf den ersten Blick wie Schroffheit wirkte, war in Wirklichkeit nichts anderes als eine zielgerichtete Geradlinigkeit, ohne die sie in diesem Haushalt vermutlich verloren wäre.
Doch für endlose Minuten war davon nichts mehr zu spüren.
» Wer ist tot?«, fragte ihr Mann, dessen Stimme vor Furcht nicht geschrumpft, sondern im Gegenteil schrill, beinah hysterisch geworden war.
» Herr Blum…«, begann Bert wieder und verstummte, als er beobachtete, wie Reinhard Blum sich von ihm wegdrehte, hin zu seiner Frau.
» Barb…« Er fing an zu schluchzen, zog seine Hand unter der seiner Frau hervor und begann über seine Knie
Weitere Kostenlose Bücher