Spiegelschatten (German Edition)
Finca auf Mallorca aus Küsschen durch die Nacht schickt. Das kostet nichts und macht keine Arbeit. In so was ist meine Mutter wirklich riesig.
Lass mich, Mama. Ich antworte dir morgen. Jetzt brauch ich ein bisschen Schlaf. Ich weiß nur nicht, wie…
Er hasste das Widernatürliche, und was war widernatürlicher als die Liebe zwischen Männern?
Schon in der Bibel wurde dieses Verbrechen verurteilt. Er hatte das eigens nachgelesen in einer Ausgabe, die er irgendwann in einem Antiquariat erstanden hatte. Roter Einband, Goldschnitt, farbenprächtige Illustrationen und so schwer, dass er sie nicht mit einer Hand heben konnte.
Wohnt ein Mann seinesgleichen wie einem Weibe bei, so haben beide Abscheuliches getan; sie sollen des Todes sterben; Blutschuld belastet sie.
Er hatte die Bibel gekauft, weil er alte Bücher und alte Geschichten mochte und weil diese Ausgabe so kostbar aussah, dass er sie unbedingt besitzen wollte. Das hatte nichts mit irgendeiner Form von Glauben zu tun. Er hatte mit Religion nichts am Hut und war auf seine geistige Unabhängigkeit immer stolz gewesen. Es machte ihm lediglich Spaß, ab und zu in den Geschichten zu blättern. Sich in den Anblick der Bilder zu vertiefen, die ihn in eine Zeit hineinsogen, die ferner schien als ein Traum.
Schon zu jener Zeit also war die klare Trennung zwischen Mann und Frau richtig und gut gewesen.
Ihm wurde speiübel, wenn er Männer Hand in Hand durch eine Stadt schlendern sah. Und als er einmal mit einem schwulen Paar in einem Aufzug gestanden hatte und beobachten musste, wie sie einander küssten, wäre es ihm fast hochgekommen. Beide hatten Bärte getragen, und man hätte nie vermutet, dass sie Schwuchteln waren. Er hatte das Gefühl gehabt, in ihrer Nähe zu ersticken, und war froh gewesen, als sich die Fahrstuhltür endlich geöffnet hatte.
Fast wäre er gerannt, um hinauszukommen. Draußen hatte er gierig die frische Luft eingeatmet. Schwindel hatte ihn gepackt und ihn taumeln lassen. Erst nach ein paar Schritten hatte er sich wieder unter Kontrolle gehabt.
Der Anblick lesbischer Frauen war für ihn leichter zu ertragen. Zumindest wenn sie weiblich wirkten. Doch häufig waren sie nichts anderes als eine weich gespülte Männerversion mit Kurzhaarschnitt, grober Gestik und dem breitbeinigen Gang eines Machos.
Aber selbst diese Mannweiber erzeugten in ihm nicht den Hass, wie es schwule Männer taten. Er konnte sich nicht dagegen wehren. Wollte es auch nicht. Er brauchte den Hass, um handeln zu können.
Es gab noch so viel zu tun, so viel.
*
Das durchdringende Piepen ihres Weckers riss Romy aus tiefstem Schlaf. Benommen setzte sie sich auf, aus lauter Angst, sonst wieder einzuschlafen. Ganz allmählich kehrten die Bilder des Abends und der Nacht in ihr Bewusstsein zurück.
Maxims Abschied war zu einer Gedenkfeier für Leonard und Sammy geworden. Romy fühlte sich an Philadelphia erinnert, den grandiosen Film, in dem Tom Hanks den schwulen, aidskranken Rechtsanwalt Andrew Beckett spielt, dem wegen seiner HIV -Infektion gekündigt wird. Wie in der Schlussszene, in der Familie und Freunde sich im Andenken an den toten Andrew versammeln, gingen sie in Björns Wohnung umher, tauschten Erinnerungen aus und unterhielten sich leise über die beiden Toten.
Ab und an hob jemand sein Glas und sagte: » Auf Leonard.«
Und jemand antwortete: » Auf Leonard. Und auf Sammy.«
Sie hatten beschlossen, die Trauerfeier am Samstag stattfinden zu lassen und zwar im Innenhof der Uni. Noch wussten sie nicht, ob sie dafür eine Genehmigung bekommen würden, doch Josch hatte sich bereit erklärt, sich zu erkundigen.
Sollte man sie ihnen verweigern, würden sie sich darüber hinwegsetzen. Notfalls konnten sie immer noch in den Hofgarten ausweichen.
Sie hatten nicht vor, eine Demonstration zu veranstalten. Sie wollten einfach würdevoll Abschied nehmen. Und das nicht versteckt in irgendeiner Wohnung, sondern offen, vor aller Augen.
Wären Leonard und Sammy heterosexuell gewesen, wäre Öffentlichkeit nicht wichtig gewesen. So aber kam die geplante Feier einem Bekenntnis gleich. Jeder, der daran teilnahm, stellte sich hinter die toten Freunde und bekundete seine Solidarität.
Romy quälte sich aus dem Bett und tappte auf nackten Füßen ins Bad. Die Kälte überzog ihren Körper mit einer Gänsehaut, und sie seufzte behaglich, als das heiße Wasser über ihre Schultern rann. Sie legte den Kopf zurück, spürte das wohlige Prasseln auf ihrem Gesicht und ließ Revue
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