Spieglein, Spieglein an der Wand
Vergeltungsaktion an Schiefnase und dem Roten gesehen habe.
„Dein Freund war genauso neugierig wie du“, sagt der Engelnach einer langen Pause. „Aber Neugier war nicht der Grund dafür, dass er immer wieder zu mir kam. Sondern eine besondere Anziehung.“
„Sexuelle Anziehung?“, frage ich.
„Er war mein Liebhaber, das habe ich doch schon gesagt.“
„Und wie lange?“
„Fällt es dir schwer, das zu hören?“
„Würdest du mir bitte antworten?“
„Deinem Freund war es furchtbar wichtig, dass niemand etwas von uns erfuhr. Deshalb habe ich nach ein paar Wochen die Geduld verloren. Es ist so ärgerlich, wenn Schönheit und Angst Hand in Hand gehen.“
„Oder er war doch nicht schwul.“
„Oh doch! Das war er.“
„Hast du ihm aus Versehen zu viel von deinem gewalttätigen Bash-Back -Scheiß erzählt? Jonathan hätte so etwas nie gutgeheißen. Wollte er einen Artikel darüber schreiben und du hast Angst bekommen?“
Der Engel lehnt sich im Sofa zurück und legt einen Arm auf der Rückenlehne ab. „Du glaubst vielleicht, ich hätte ihn umgebracht?“
„Das kommt darauf an, wie viel Schmutz er über dich ausgegraben hat.“
„Du hast keine gute Meinung von deinem Freund.“
„Ich hab keine von dir!“
„Jonathan war ein guter Mensch. Er war nicht darauf aus, andere an den Pranger zu stellen. Wenn ihr wirklich befreundet wart, müsstest du eigentlich wissen, dass ER immer zuerst das Gute in seinen Mitmenschen sah.“
Im Gegensatz zu mir, der kleinlich und misstrauisch ist.
„Hat er dich fallen lassen?“, frage ich boshaft. „Hast du dich inden Hetero verliebt, der dich nicht haben wollte? Und dich hat das ganz schrecklich doll verletzt?“
„Du solltest jetzt gehen.“
Ich stehe auf. „Ja, da kannst du Gift drauf nehmen! Grüß Lasse schön von mir und richte ihm aus, dass er nächstes Mal andere Schuhe anziehen sollte, wenn er sich filmen lässt.“
Ich steige hastig von dem Podest herab, die Übelkeit schnürt mir den Hals zu. Allein die Vorstellung, dass der Engel seine widerlichen, behandschuhten Pranken auf Jonathan gelegt hat …
Alle mal herhören, ihr warmen Brüder und Schwestern! Jonathan stand nicht auf Jungs! Es ist in Ordnung, wenn Rasmus das tut, aber Jonathan hatte einen besseren Geschmack, er hätte sich keinen selbstverliebten Idioten mit gefederten Flügeln ausgesucht. Jetzt ist es gesagt, und es gibt keinen Grund, noch weiter darüber nachzudenken.
11. April
Diese verdammten Russen! Mein Wodka-Kater hält fast vierundzwanzig Stunden an. Erst am Sonntagmorgen bin ich wieder ich selbst. Nick kommt am Nachmittag vorbei, als ich gerade meine Schulbücher aufgeschlagen habe. Zur selben Zeit fangen Copy Noize im Keller an zu proben, sodass wir uns schnell entscheiden, ins Kastellet umzuziehen. Ich sage meinem Vater nicht Bescheid, dass ich gehe. Wir haben schon seit mehreren Tagen nicht mehr miteinander geredet. Er weiß auch nicht, dass ich Besuch von einem Schlosser hatte, der ein neues Schloss in meine Dachzimmertür eingebaut hat. Wenn mein Vater es zum ersten Mal bemerkt, werde ich sicher davon erfahren.
Der Ansturm der Brunchesser ist überstanden, sodass das Café fast leer ist. Wir finden einen Tisch am Fenster und holen uns zwei Colas. Es gibt etwas, worüber Nick mit mir reden will. Erst sagt er, dass man mich ja schon lange nicht mehr bei Tobias gesehen hat. Vor einem Jahr hätte ich doch ständig bei ihm zu Hause rumgehangen. Genau wie Nick auch. Tobias’ Gastfreundlichkeit kennt offenbar keine Grenzen. Auch mit seinem Warenlager ist er sehr freigiebig, was Nick schon bis an die Grenze der Unverschämtheit ausgenutzt hat.
„Tobias glaubt, du wärst sauer auf ihn.“
„Nee, bin ich nicht. Ich hatte nur immer so viel anderes zu tun in letzter Zeit.“
„Zum Beispiel dein neues Leben als Tunte?“
„Eigentlich meinte ich eher die Hausaufgaben.“
Nick nimmt das Colaglas und dreht es. „Bist du … na ja … auf dem Weg, ein anderer zu werden?“
„Jetzt klingst du schon wie mein Vater.“
„Inwiefern?“
„Er hat diese Einladungen zur Angel Party in meinem Zimmer gefunden. Und er hat zum ersten Mal Rasmus gesehen. Jetzt glaubt er, ich wäre schwul geworden.“
„Die Auffassung hätte er wohl schnell geändert, wenn er gesehen hätte, wie du Liv auf der Tanzfläche angegeifert hast.“
„So schlimm war es doch gar nicht.“
„Doch, war es. Und wie ist es sonst so, mit deinem Vater zusammenzuwohnen?“
„Beschissen. Es kann sein,
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