Spieglein, Spieglein an der Wand
trotzdem schwer, den Gedanken zu ertragen.“
„Was ist, wenn nur der Engel in Jonathan verknallt war und nicht umgekehrt?“
„Ja? Was dann?“
„Jonathan sucht ihn mehrmals mit dem Ziel auf, einen Artikel zu schreiben, und der Engel verliebt sich Hals über Kopf in ihn.“
„Das kann man sich gut vorstellen.“
„Jonathan muss auch für die Männer ein richtiger Leckerbissen gewesen sein. Oder wie auch immer man das nennen soll …“
„Also baggert der Engel ihn an.“
„Wird jedoch abgewiesen.“
„Vielleicht sogar mehrmals.“
„Daraufhin ist der Engel außer sich vor Wut, fühlt sich ausgenutzt, schickt seine Rächer nach Jonathan aus, und die schlagen ihn zusammen.“
Nick wiegt seinen Kopf hin und her, als wolle er den Gedanken in seinem Kopf geraderücken. „Aber trotzdem … Lässt man jemanden verprügeln, weil man abgewiesen wurde? Dann muss man aber wirklich krank im Kopf sein.“
„Hallo! Ich habe ihn immerhin getroffen. Alle Tassen im Schrank hat der ganz bestimmt nicht.“
„Aber trotzdem. Bringt man jemanden aus Liebeskummer um?“
Ich beuge mich vor und klopfe mit dem Zeigefinger auf den Tisch: „Die Welt ist doch voll von solchen Beispielen! Denk dochnur mal an diese ganzen eifersüchtigen Männer, die ihre Ex-freundinnen umbringen.“
„Das ist Mord im Affekt. Einen Schlägertrupp loszuschicken, ist ja wohl was ganz anderes!“
„Menschen werden aber trotzdem aus Eifersucht ermordet, das passiert wirklich.“
„Die Typen, die so etwas machen – ist es für die nicht besonders schwer zu akzeptieren, wenn sie sehen, dass ihre Exfreundinnen über sie hinweggekommen sind?“
„Ja, wenn sie einen Neuen gefunden haben. Dann drehen diese Männer durch.“
„Jonathan kam mit Liv zusammen.“
Und das wusste der Engel vielleicht. Hat er sie zusammen gesehen? Hat er angefangen, Jonathan zu verfolgen? Hat er ihn bedroht? Wurde er gewalttätig?
Jonathan hatte kein Interesse am Engel. War das Grund genug, Jonathan umbringen zu lassen?
16. April
Mizz Take This fegt über die Bühne, mit so viel Make-up im Gesicht, dass man eine ganze Wand damit spachteln könnte. Das Kleid glitzert, die Absätze sind turmhoch und die Federn des Kopfschmucks wippen in zwei Metern Höhe im Takt.
I asked my sweetheart: What lies ahead?
Der bewegliche Scheinwerfer rahmt ihn perfekt ein. Das ist mein Verdienst. Mizz Take This wirbelt um die eigene Achse und Glitter regnet wie Goldstaub auf den Bühnenboden.
Will we have rainbows day after day? Here’s what my sweetheart said: Que sera sera, what ever will be – will be, the future’s not ours to see …
Das Publikum singt mit. Schon seit der ersten Strophe. Das Lied ist so einfach, dass selbst 250 betrunkene Gymnasiasten es innerhalb von zehn Sekunden lernen können.
… que sera sera!
Während des Instrumentalteils steigt Mizz Take This von der Bühne und geht im Publikum umher. Die Mädchen aus unserer Klasse flippen komplett aus. Liv wirft sich auf den Boden und streckt Rasmus ihre Arme entgegen. Sie bekommt einen gnädigen Klaps auf die Wange und tut, als würde sie in Ohnmacht fallen. Die anderen kreischen vor Neid. Alle sind voll dabei. Ich drehe den Scheinwerfer, damit er der Diva auf ihrem Weg an der ersten Reihe vorbei folgen kann. Ganz rechts sitzen fünf Typen,die keinerlei Enthusiasmus zeigen. Es sind Tony, Christian und die drei anderen humorlosen Knochen aus der Dreizehnten. Sie selbst würden sich nie trauen, eine Bühne zu betreten. Stattdessen sehen sie sich in den Rollen derjenigen, die die Leute vom Podest runterholen, sowohl buchstäblich als auch psychisch. Diese fröhlich-naiven Idioten auf der Bühne sollen bloß nicht glauben, sie seien etwas Besonderes – beispielsweise talentiert oder sehenswert. Bisher saßen die fünf bei allen Nummern mit verschränkten Armen da. Einige Darsteller bekamen auch verdrehte Augen, höhnisches Grunzen oder ein paar herablassende Rufe mit auf den Weg. Doch erst jetzt ist der Moment erreicht, in dem die Stimmung kippt und sich gegen die selbst ernannten Kritiker richtet. Denn plötzlich sind sich alle einig, dass die Tunte ein Erfolg ist. Ich sorge dafür, dass der Scheinwerfer Tony und Christian im Nacken trifft. Rasmus ist mit einem milden Lächeln vor ihnen stehen geblieben. Er hebt das Mikrofon: „Guten Abend, Mädels …“
Jubelschreie aus dem Publikum. Rasmus sieht auf und klappert mit seinen zwei Zentimeter langen Wimpern. Er verspricht uns, dass es jetzt witzig
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