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Spieglein, Spieglein an der Wand

Spieglein, Spieglein an der Wand

Titel: Spieglein, Spieglein an der Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ina Bruhn
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dass ich bald ausziehen muss.“
    „Kannst du denn nicht zu deiner Mutter ziehen?“
    „Nach Rungsted? Machst du Witze?“
    „Kauf dir einfach ein paar Polohemden und schon fällst du gar nicht mehr auf.“
    „Das kommt nicht infrage. Ich habe für die Hochzeit abgesagt und sie war furchtbar sauer darüber.“
    Nick zieht eine Grimasse, die ausdrücken soll, dass er das eigentlich ganz gut verstehen kann. Wenn er sich unbedingt auf die Seite meiner Mutter schlagen muss, kann ich den Ball genauso gut zurückspielen.
    „Und bei dir und deinem Vater?“
    „Was soll da sein?“
    „Wohnt er immer noch bei euch?“
    „Ja.“ Nick hebt sein Glas und trinkt. Anscheinend möchte er nicht über seinen Vater reden, denn kaum hat er ausgetrunken, steht er auf und geht zur Toilette.
    Draußen flanieren zwei Frauen vorbei. Sie sind Mitte dreißig und schieben beide einen Kinderwagen mit einem schlafenden Baby vor sich. Beim Anblick ihrer Beine unter den Röcken und ihren Brüsten unter den Blusen denke ich, dass ich wahrscheinlich durchdrehe, wenn ich nicht bald Sex habe. Im Grunde schämt sich nämlich nur mein Kopf für die Nacht mit Arendse. Mein Körper dagegen hat etwas bekommen, was ihm gut gefallen hat, und jetzt giert er nach mehr. Eine der beiden Frauen da draußen würde ihn glücklich machen, eventuell auch beide auf einmal. Alle Frauen kommen infrage, sie sind wie Heroin – und ich bin angefixt. Als echter Abhängiger träume ich besonders davon, unbegrenzten Zugang zu meinem Stoff zu bekommen. Eine feste Freundin wäre gleichbedeutend mit Sex rund um die Uhr.
    Nick kommt vom Klo zurück. Er holt noch zwei Colas und setzt sich. „Ich habe gestern mit Liv gesprochen.“
    „Wenn die gestern keinen Kater hatte, glaube ich nicht mehr an die Gerechtigkeit im Leben.“
    „Doch, hatte sie wohl schon. Aber wir haben vor allem über Carl-Philip gesprochen.“
    „Was ist denn mit ihm?“
    „Er hat mich schon zwei Mal angehauen, weil er Hasch von mir kaufen wollte.“
    „Scheiße! Dich auch? Hast du Liv davon erzählt?“
    „Nee, ich glaube, er hat sowieso schon genug Probleme mit seinen Eltern. Sie wollen ihn von der Schule nehmen.“
    „Das ist vielleicht nicht die schlechteste Idee.“
    „Der Meinung war Liv auch, aber Carl-Philip ist natürlich außer sich. Jetzt, wo er endlich Freunde gefunden hat.“
    „Die es aber überhaupt nicht wert sind, Freunde genannt zu werden.“
    „Erzähl das mal einem Dreizehnjährigen.“
    Es wird schwer für Carl-Philip werden, in eine neue Klasse zu kommen. Fast schon ein Selbstmordprojekt. Andererseits könnte es auch sein, dass er direkt zu einer Militärakademie in die USA geschifft wird und nach einem Jahr und 100000 Liegestützen zurückkommen darf. Kahl rasiert, gehirngewaschen und mit einer neuen Persönlichkeit, die man ihm zusammen mit der Uniform übergestülpt hat. Livs Eltern wäre das durchaus zuzutrauen, denn unter ihrer feinen Oberfläche sind sie beinhart.
    „Wo wollen sie ihn hinschicken?“, frage ich.
    „Vielleicht auf die Bernadotte-Schule. Das hofft Liv jedenfalls.“
    „Ist das nicht so eine Hippieschule?“
    „Ja, nicht gerade Carl-Philips Stil.“
    „Wir können ihm ja eine Mundharmonika kaufen.“
    Nick lächelt. Aber das Lächeln verschwindet schnell wieder aus seinem Gesicht. Er trinkt von seiner Cola, räuspert sich und sagt: „Und dann bin ich gestern auch noch Lars in die Arme gelaufen.“
    Jonathans Vater. Den wir schon vor vielen Monaten hätten besuchen müssen.
    „Wie geht es ihm?“
    „Okay. Nicht mehr ganz so schlecht wie vorher, aber auch nicht gut. Er ist dünn geworden. Ganz merkwürdig, früher war er doch immer so ein kugeliger Typ.“
    „Worüber habt ihr gesprochen?“
    „Eigentlich hat vor allem Lars geredet. Er will eine Gedenkfeier für Jonathan veranstalten. Wahrscheinlich im Juli oder August. Er wollte sich vergewissern, dass wir beide zu der Zeit nicht in Urlaub sind. Es ist Hannah und ihm unheimlich wichtig, uns dabeizuhaben.“
    Obwohl wir Jonathans böse Freunde sind, die sie nie besuchen kommen.
    Nick reibt sich die Stirn. „So eine Scheiße …“
    „Ich rufe sie morgen an“, verspreche ich. „Oder am Wochenende.“
    Nick sieht gedankenverloren aus dem Fenster. Ich weiß genau, dass er eigentlich gar nicht über Carl-Philip, Tobias oder Lars sprechen will, denn er hat wieder diese Falte auf der Stirn, die immer mit Jonathan zu tun hat. Ich komme ihm zuvor und erzähle von den Rächern des Engels und dem

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