Spiel der Angst (German Edition)
zurück!«
Sie legte auf. Wählte noch einmal. Wieder das Freizeichen.
Dann wieder die Mailbox.
Sie legte entnervt auf.
Sie wählte die Nummer von Julia.
Wenn sie jetzt jemand beruhigen konnte, dann war das ihre beste Freundin.
Auch nur die Mailbox.
Sie sah auf die Uhr. Es war Mitternacht in London. An einem Sonntag. Wahrscheinlich schlief Julia schon und hatte das Handy ausgeschaltet. Oder sie feierte. Und hörte es nicht. Das konnte sich Emily eher vorstellen.
Verdammt, dachte sie.
Dann fiel ihr die Galerie ein, von der Ryan gesprochen hatte.
Vielleicht war Ryan dort?
Und wenn nicht?
Daran wollte sie erst einmal nicht denken.
9
Es geht los, dachte er. Der erste Tag.
Er ließ seinen Blick durch die Straßenschluchten schweifen, während die schwarze Limousine, in der er saß, katzenhaft durch die breiten Straßen glitt. Aus dem verspiegelten Fenster blickte er an der Fassade hoch.
In einem ähnlich teuren Penthouse hatte auch der andere gewohnt – derjenige, der ihn als Kind erniedrigt und gequält hatte und der ihn aus dem Himmel von Notting Hill wieder zurück in die Hölle gebracht hatte. Und jetzt wohnte sie , die er gleich besuchen würde, in einem ähnlichen Penthouse. Nicht in London, sondern in New York, nicht sein Pflegevater, sondern seine Pflegemutter. Doch eines hatten sie beide gemeinsam: Sie hatten ihn mit sadistischer Freude gequält. Einer war bereits dafür gestorben. Und sie, die andere, würde es heute tun. Mochte sie sich noch so sehr an ihr nutzloses Leben klammern, heute würde es vorbei sein.
Die meisten Menschen, dachte er, wussten nicht, wann es für sie an der Zeit war zu gehen. Sie klammerten sich an ihr Scheißleben, wie sich Politiker an ihre Posten klammern. Doch die er heute besuchen würde, würde sich noch so sehr wie ein Affe an ihren Ast klammern können, es würde nichts helfen. Er würde einfach ihren Ast absägen, und sie würde trotzdem in die Tiefe fallen und unten in tausend Teile zerschmettert werden, ganz egal, ob sie den Ast festhielt oder nicht.
Irgendwo dort draußen war sie. Ob sie noch Angst vor ihm hatte? Es war mittlerweile ein Jahr her, aber die Angst war auch wie Wein. Der wurde mit dem Alter besser. Und Angst wurde mit der Zeit noch intensiver.
Und für Emily würde es einen kleinen Vorgeschmack bedeuten: Was er, den sie immer als den Irren oder den Spieler bezeichnete, mit Leuten machen konnte, wenn er wollte. Und dass er nach wie vor bereit war, zu töten.
Und dass er es konnte.
Nicht nur bei der Frau, die er gleich besuchen würde.
Sondern bei allen.
Er sah sein Gesicht in der gespiegelten Scheibe der Limousine.
›Dressed to kill‹, dachte er.
Oder ›Dressed for Emily‹.
Emily.
Er würde schon bald sehen, ob sie noch immer Angst vor ihm hatte.
Und sie würde sehr schnell merken, dass diese Angst berechtigt war.
10
Ryan war verschwunden.
Dann dieser Zettel.
Willkommen im Spiel der Angst.
Und sie konnte Ryan nicht erreichen.
Sie hatte noch mehrmals versucht, Julia anzurufen. Doch da war immer nur die Mailbox angegangen. Emily konnte sich nicht vorstellen, dass sie schon schlief. Wahrscheinlich war sie wirklich irgendwo auf Tour und hatte das Handy ausgestellt, oder sie hörte es nur nicht.
Endlich war sie in der Galerie angekommen. Third Avenue, Ecke East Street 62, nahe der Lexington-U-Bahn-Station.
Hoffentlich war Ryan bereits da.
Emily bahnte sich mühsam und durchgeschwitzt einen Weg durch die Menschenmenge in der Galerie. Von den Kunstwerken war vor lauter Leuten so gut wie gar nichts zu sehen. Die Gäste hielten alle ihre Sektgläser nahe am Körper, um nichts zu verschütten, während Emily sich weiter vorkämpfte. Sie schob sich an allen möglichen Typen vorbei, und endlich hatte sie das Gedränge durchquert.
Da entdeckte sie Marc und Lisa. Lisa sah Emily überrascht an. »Da bist du ja schon. Früher, als Ryan angekündigt hat.«
Ihr Atem ging schwer. »Ryan …«, sagte Emily. »Ryan … wo … wo ist er?«
»Ryan?« Marc hob die Augenbrauen.
Emily wusste, was jetzt kommen würde. Wir wissen nicht, wo er ist. Warum ist er nicht bei dir? Seid ihr nicht zusammen …?
Und sie wusste, dass der Irre wieder da war. Dass er sie weiter jagen würde. Dass er es konnte, obwohl er tot war.
»Ryan«, sagte Marc. »Der ist da, wo sogar der Bürgermeister von New York zu Fuß hingeht.«
Er bewegte seinen Kopf Richtung Toilette.
Die Tür öffnete sich.
Und heraus stolzierte mit seinen dunklen Augen und seinem
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