Spiel der Angst (German Edition)
geweiteten Augen und an der Farbe seines Gesichts, dass ihm die furchtbare Wahrheit gerade in den Sinn gekommen war. Wer behauptet, er hätte jemanden entführt, würde es vielleicht auch tatsächlich tun.
»Entführt?«, fragte er. »Von wem denn?«
Emily stemmte die Hände in die Hüfte und bewegte ihre Füße hin und her. »Wenn ich das wüsste. Ich habe eigentlich nur eine … Nein.« Sie wandte den Kopf ab. »Nein, eigentlich habe ich keine Idee, wer das sein könnte.«
Ryan nahm ihren Kopf in beide Hände. Jetzt blitzte die Besorgnis auch in seinen Augen. »Ich weiß, wen du meinst«, sagte er. »Aber es ist völlig unmöglich.«
Sie wusste, dass er wusste, wen sie meinte. Den Verrückten. Den Spieler. Den Wahnsinnigen.
Sie schmiegte sich an ihn und zog dann ihren Kopf zurück, um Ryan angucken zu können. »Er ist tot, richtig?«
»Natürlich ist er tot«, bestätigte Ryan, wirklich überzeugt klang er jedoch nicht.
»Wissen wir das genau?« Emily sah Ryan fest an.
Ryan blickte zur Decke. »Wir wissen von der Polizei, dass sie die Leiche gefunden haben.« Er hielt sie weiterhin fest an sich gedrückt. »Wir wissen, dass er von der U-Bahn zerstückelt worden ist.« Er schaute sie an. »Ich glaube nicht, dass er das überlebt hat.«
»Und was ist das jetzt?« Sie hielt den Brief hoch. »Du bist weg, und in unserer Wohnung steht nur noch diese Puppe da mit deiner Kleidung. Dann weiß irgendjemand anscheinend, dass du dein Handy auf lautlos geschaltet hast. Und dann diese komische Nachricht.« Sie löste sich von ihm, um den Zettel nach oben halten zu können. »Dann die Art, wie er schreibt. Weißt du noch vor einem Jahr? Da war diese Nachricht in meinem Postfach.« Sie hielt kurz inne, als müsste sie sich selbst darauf vorbereiten, die verfluchten Worte noch einmal auszusprechen. » Willkommen im Spiel des Lebens, Emily. Du hast die Wahl. Sieg oder Tod. Genau wie vor einem Jahr. Weißt du noch?«
»Natürlich weiß ich, was du meinst!«
»Und?«
»Ich weiß noch eine andere Sache.«
»Und die wäre?«
»Dass Jonathan tot ist. Und tot bleiben wird.« Er sah Emily an. »Denn wenn jemand von der U-Bahn überrollt und für tot erklärt wird, bleibt er das in der Regel auch.«
Emily biss sich auf die Lippe. »Dann bleiben zwei unangenehme Möglichkeiten.«
Ryan nickte. Er schien zu ahnen, was sie sagen wollte.
»Es gibt einen anderen Spinner hier, der auch Scherze mit uns treibt«, sagte er.
»Und woher weiß er, was der Irre damals geschrieben hat?« Emily schaute ihn durchdringend an. » Spiel des Lebens. Spiel der Angst. Das klingt doch sehr ähnlich.«
»Oder ist das Zufall?« Emily hörte aber an Ryans Stimme, dass er auch nicht so ganz daran glaubte.
»Das ist die angenehmere Alternative«, sagte Emily. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es einen noch größeren Psychopathen geben konnte als Jonathan.
»Die zweite Möglichkeit«, fuhr Emily fort, »ist leider noch viel unerfreulicher.«
»Du glaubst wirklich, dass er …?«
»Ich glaube es nicht«, fiel sie ihm ins Wort. »Ich weiß es nicht, und ich hoffe es nicht. Es sieht nur ganz danach aus, dass Jonathan Harker …«
Es fiel ihr unendlich schwer, diese grausame Annahme auszusprechen, die so schrecklich war, dass ihr die letzten Monate der Ruhe wie eine naive Zeit des Träumens vorkamen.
»Es sieht so aus, als könnte Jonathan Harker … überlebt haben.«
Ryan nahm ihre Hand. »Und was willst du jetzt tun?«
»Ich muss«, stammelte Emily, »ich muss Klarheit haben über das, was geschehen ist. Ich muss …« Sie schaute sich um, als wäre sie in einem viel zu engen Käfig.
»Erst einmal muss ich hier weg. Ich … ich kann nicht in solch einer pseudofröhlichen Atmosphäre sein, wenn ich kurz davor bin zu glauben, dass der Albtraum meines Lebens wieder losgeht.« Auf die Party hatte sie erst recht keine Lust mehr. »Und dann muss ich noch …«
»Carter?«, fragte Ryan, der Emily mittlerweile ohne Worte verstand.
Emily nickte. »Ja, ich muss Inspector Carter anrufen.«
12
Er stand ihr gegenüber.
Im dreißigsten Stockwerk der riesigen Penthousewohnung, die sie sich von dem Geld gekauft hatte, das sie von ihrem toten Mann auf die Seite geschafft hatte.
Die Stadt blitzte unter ihnen in bläulichem Licht. Zu seiner Linken der Hudson River, auf dem hier und da beleuchtete Schiffe hin- und herfuhren. Im Süden die riesige Baustelle des Freedom Towers – der jetzt offiziell »One World Trade Center« hieß, aber überall
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