Spiel Der Sehnsucht
ob die neue Lady Hinton das absichtlich oder zufällig zuwege gebracht hat. Denn wenn es ein Zufall sein sollte, so macht sie sich damit zum Gespött der Saison.« Ihr Gesicht verzog sich zu einem stummen Gelächter.
Lucy schürzte die Lippen und versuchte vergeblich, ihre Worte zurückzuhalten. »Werden Sie sie dann von ihrem Mißgriff unterrichten - falls er unabsichtlich geschah?«
Lady Westcott warf Lucy einen schlauen, Blick zu.
»Darüber habe ich noch nicht entschieden. Was würden Sie an meiner Stelle tun?«
Lucy fühlte, daß es von ihrer Antwort abhing, ob sie die Erlaubnis erhalten würde, morgen die Vorlesung zu besuchen. Sie mußte also ebenso schlau sein wie die Grä-
fin. Was für eine Antwort würde dieser berechnenden Frau wohl gefallen, die sogar ihren einzigen Enkel als ein Faustpfand ihrer Macht betrachtete?
Die Antwort lag auf der Hand.
»Ich denke, daß es auf Lady Hinton selbst ankommt.
Wenn Sie der Meinung sind, daß sie in Zukunft für Sie nützlich sein könnte, dann müssen Sie ihr unbedingt sagen, daß ihre neue Ausstattung ein Abklatsch einer ihrer Vorgängerinnen ist. Sie können ihr dann die zu erwartende Demütigung ersparen, indem Sie das Ge-rücht verbreiten, Lady Hinton habe dieses Dekor ge-wählt, um ihrem Gatten, den sie anbetet, eine Freude zu machen.«
Lucys Rede schien Lady Westcotts Beifall zu finden, bis auf die letzten Worte. Da runzelte sie die Stirn und schob ihre Teetasse beiseite. »Den sie anbetet? Pah, Sie sind ein genauso romantisches Gänschen wie Valerie, wenn Sie glauben, eine Frau müsse ihren Mann anbeten.«
Lucy ließ sich nicht einschüchtern. »Ich sagte nicht, eine Frau müsse ihren Mann anbeten. Ich habe nur gesagt, daß Sie und Lady Hinton andeuten könnten, daß dies der Fall sei.«
Lady Westcott betrachtete Lucy kühl, doch dann lachte sie auf.
»In der Hauptsache haben Sie recht, Miss Drysdale. Ich werde Lady Hinton besuchen und dann entscheiden, ob sie mir nützlich sein kann oder nicht. Wenn ich sie vor einem gesellschaftlichen Fauxpas bewahren kann, wird sie auf jeden Fall in meiner Schuld stehen.«
»Heißt das, daß Valerie und ich Sie nicht brauchen und statt dessen die Vorlesung besuchen können?«
Langsam und nachdenklich nickte die Gräfinwitwe.
»Sie sind eine aufgeweckte junge Frau, Miss Drysdale.
Bemerkenswert aufgeweckt.«
Lucy nahm das Kompliment lächernd an. Auch wenn sie nicht damit prahlte, so war ihr doch seit langem klar, daß ihre intellektuellen Fähigkeiten größer waren als die der meisten Mädchen. Doch hier war mehr vonnöten, als lediglich aufgeweckt zu sein. Schließlich galt es, einen jungen Mann zu finden, der sowohl Valerie gefallen als Lady Westcotts Vorstellungen entsprechen sollte.
Die Gräfinwitwe hatte bei der Vorlesung nachgegeben, weil sie sich in dem Glauben befand, Lucy zu manipulieren und unwissentlich zur Komplizin ihres Planes zu machen, Lord Ivan mit Lady Valerie zu verkuppeln.
Von Lucys Absichten hatte sie keine Ahnung ...
Lucy lächelte die Gräfinwitwe an. Sie würde ein Problem nach dem anderen angehen. Heute abend würde jedenfalls der Ball bei den McClendons stattfinden, auch wenn Lady Westcott ihn lediglich als Tanzerei abtat, da kaum über zweihundert Personen zu erwarten waren.
Ob zweihundert oder vierhundert, für Valerie machte das einen Unterschied. Sie verging fast vor Angst bei dem Gedanken an so viele fremde Menschen.
Der Eindruck, den Valerie heute abend machen würde, konnte sehr wohl ausschlaggebend für den Rest ihrer Saison sein. Lucy war daher entschlossen, sie zur Schönsten des Balles zu machen, zumindest aber zum Mittelpunkt eines eigenen kleinen Hofstaates von Verehrern.
Sie wollte keinen Augenblick von ihrer Seite weichen und den passenden Verehrer für sie herauspicken.
6
Noch war es nicht Mitternacht, aber schon war man sich allgemein darüber einig, daß der Ball der McClendons das erste Großereignis der Saison sei. Lady McClendon war hingerissen, Lord McClendon war sehr stolz und ein wenig angeheitert, und die beiden unverheirateten Töchter hatten noch kein einziges Mal im wilden Wirbel der Tänze ausgesetzt.
Valerie war zuerst wie ein Kind an Lucys Arm gehan-gen und hatte nur auf die sagenhaften Kleider, die fun-kelnden Juwelen und die sich in ständiger Bewegung befindliche Menschenmenge gestarrt. Nachdem jedoch Lady Westcott sie einer Reihe von Leuten vorgestellt und man ihr viele Komplimente gemacht hatte, taute sie allmählich ein wenig auf.
Doch
Weitere Kostenlose Bücher