Spiel Der Sehnsucht
war Lucy von dieser Zurschaustellung der vornehmen Gesellschaft ebenso beeindruckt gewesen, von all der Seide und dem Musselin, von Flechten und Bändern, Federn und Juwelen. Bei ihrer zweiten Saison hatte sie diesen ganzen Pomp schon etwas gelassener betrachtet. Nun jedoch fand sie sogar einen gewissen Gefallen daran. Londons Reiche und Schöne waren in den Park gekommen wie Kinder, die ihre neuesten Spiel-zeuge vorführten. Die Frauen machten einander Komplimente über ihre schicken Hauben, die Männer lobten gegenseitig ihre Pferde. Alle beobachteten einander genau, und jedermann versuchte, sich von seiner vorteil-haftesten Seite zu präsentieren.
Ein sehr imposantes Paar fuhr in einer königsblauen Berline-Kutsche vorüber, je eine fette Katze auf dem Schoß und angeleint an die Kutsche drei Windhunde, die auf den Köpfen königsblaue Kappen trugen, auf denen königsblaue Federn wippten.
Lucy täuschte einen Hustenanfall vor, um nicht laut herauszulachen. Lady Valerie bemerkte es nicht, wohl aber der Graf.
»Sie amüsieren sich, Miss Drysdale? Und das über die Creme de la Creme der Gesellschaft? Meine Großmutter würde Ihre Haltung sicher nicht gutheißen.«
Lucy warf ihm von der Seite einen Blick zu. Er neckte sie, oder? Seine Lippen waren leicht gekräuselt. Trotzdem, sie war nicht sicher. »Es war nur ein Kratzen im Hals«, versicherte sie. Leider ritt genau in diesem Augenblick ein ältlicher Lebemann in einem knallgelben, viel zu engen Jackett vorüber. Sein Reittier war ein Schimmel, der sich nicht die geringste Mühe gab, die Zuschauer zu beeindrucken. Diesmal konnte Lucy ihr Lachen nicht mehr verbergen.
»Lachen Sie nicht«, flüsterte Ivan ihr ins Ohr, »das ist ein Marquis, der erst kürzlich seinen steinalt gewordenen Onkel beerbt hat. Er ist kinderlos und braucht dringend wieder eine Frau, nachdem er schon drei Gattinnen überlebt hat. Die Familie meiner Kusine wäre bestimmt überglücklich, wenn Sie ihr helfen würden, sich einen Marquis zu schnappen.«
Lucys Widerwille zeichnte sich deutlich in ihrem Gesicht ab, denn nun war es Ivan, der lachte - und irgendwie sein Bein wieder an ihres brachte.
Sie beantwortete diese indiskrete Bewegung mit einem unzarten Stoß ihres Ellenbogens in seine Seite und konnte zufrieden feststellen, daß er überrascht nach Luft schnappte. Sein Bein allerdings ließ er da, wo es war.
»Oh, sehen Sie, Miss Drysdale«, rief Valerie, »diese purpurne Kutsche. Ist das der König oder jemand aus seiner Familie?«
Der Graf beugte sich vor, um Valerie zu antworten, und preßte dabei schamlos seine Hüfte an Lucys Seite.
Das ging nun wirklich zu weit! Doch weshalb reagierte sie darauf wie ein unerfahrenes Mädchen mit schwitzi-gen Händen und rasendem Puls?
»Das ist der Herzog von Cheltenham, Lady Valerie.
Genauer gesagt, seine Frau - und einer ihrer engeren Freunde«, erwiderte Ivan trocken, während die besagte Kutsche näher kam. »Der Herzog ist ziemlich stolz auf seine familiären Beziehungen zur königlichen Familie.
Deshalb der purpurfarbene Landauer.«
Das war wirklich interessanter Klatsch. Lucys Gedanken waren allerdings mehr darauf gerichtet, wie sie ein wenig Abstand zwischen sich und diese harte, muskulö-
se Hüfte bringen konnte, ehe ihr Verstand völlig abhan-den kam.
»Wollen wir ein wenig zu Fuß gehen?« fragte sie Valerie und stieß Ivan nochmals, diesmal jedoch härter, den Ellenbogen in die Rippen.
Ivan ließ Valerie gar nicht zu Wort kommen. »Ich würde das nicht empfehlen«, sagte er und rückte wenigstens einen Zentimeter ab. »Sie ist noch nicht in der Gesellschaft vorgestellt worden, und man würde es als ungehörig empfinden, wenn sie hier spazierenginge.«
Da hatte er recht. »Vielleicht können Sie uns einigen Bekannten Ihrer Großmutter vorstellen«, schlug Lucy vor.
»Wäre Lady Valerie daran interessiert, sich einen Ehemann im Alter meiner Großmutter zu suchen?« gab er zurück.
»O nein!« rief Valerie aus und wandte schnell ihr Gesicht ab.
»Der Graf neckt Sie nur, Lady Valerie«, tröstete Lucy das Mädchen. »Er weiß, daß ich nicht zuließe, daß man Sie an einen alten Mann verheiratet.«
»Ah, es sind also junge Männer, die sie kennenlernen möchte«, sagte Ivan. »Da haben wir Glück, denn ich bemerke eben einige feine jungen Herren aus meinem Bekanntenkreis.« Er winkte drei Reitern zu, die mit ihren Tieren auf dem Rasen neben dem Weg unterwegs waren.
Er hatte das geplant, schoß es Lucy durch den Kopf. Er
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