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Spiel des Todes (German Edition)

Spiel des Todes (German Edition)

Titel: Spiel des Todes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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das verschmutzte Weiß seines Dreispänners und
dem verwaschenen Gelb des danebenliegenden kleinen Bauwerks eingequetscht und
von vielfach gekreuzten und verhakten Brettern überdacht, an denen mit Drähten
erstaunlich straff eine Platte aus Wellglas festgezurrt war.
    Als die Zeitung kam, machte sich Gottfried gerade an einem Scharnier
des Gartentörchens zu schaffen und dachte an seine Kindheit.
    Gottfried ist in der Geschwisterschar von sechs Kindern das
zweitjüngste. Wie bei den anderen vier entbindet die Mutter zu Hause tief im
Rosenheimer Land nahe der Kampenwand in ihrem Schlafzimmer. Es soll sich als
eine schwere Geburt herausstellen, es geht um Leben und Tod für Mutter und
Kind. Die Hebamme und ihre Helferin bekreuzigen sich und schütteln die Köpfe.
Die Kindsmutter schreit, außer sich und noch matt vor Schmerz und Plage, dieses
Kind werde Unglück über sich und andere bringen, und der liebe Gott solle doch
bitte den unschuldigen Kleinen beschützen.
    Daraufhin wird das Kind prompt auf den Namen Gottfried getauft –
Gott macht seinen Frieden mit dir. Dass Gott diese Zusage tatsächlich einlöst,
wird im folgenden Leben des Kleinen immer unwahrscheinlicher. Zum Beispiel
hätte er eigentlich – wie seine Geschwister und die übrigen Kinder des Dorfes
auch – in die Schule gehen und unterrichtet werden sollen. Er jedoch zeigt dazu
keinerlei Neigung. Früh schon unternimmt Gottfried Streifzüge durch die nahen
Wiesen und Wälder, heuert mit zehn als Milchschankhilfe in einer Almhütte an
oder setzt sich auf eine Bank unter dem Kruzifix am südlichen Ortsende und
beobachtet alles, was sich so tut. Die Schule vernachlässigt er heftig.
    Ermahnungen helfen ebenso wenig wie die eine oder andere Ohrfeige
oder Kopfnuss vom Pfarrer, der zugleich das Lehramt innehat. Jedes Mal, wenn er
geschimpft wird, weil er mitten im Unterricht oder in einer Pause das
Klassenzimmer oder die Schule verlassen hat oder einfach mir nichts, dir nichts
den Weg zum Bach hinuntergetrottet ist, nimmt Gottfried den Tadel mit
erstauntem, verletztem Blick entgegen. Als beschimpfe man ihn für etwas, was er
in Wirklichkeit nicht getan oder in bester Absicht getan hat. Als könne er sich
überhaupt nicht an seine Unarten erinnern.
    Nach einiger Zeit dürfen deshalb seine Eltern den Jungen aus der
Dorfschule nehmen, da er ja doch nur wegläuft und nicht zu bändigen ist.
Außerdem ist’s der Herr Pfarrer leid, ständig hinter diesem bockigen Schüler
her zu sein.
    Danach soll Gottfried dem Vater und den Brüdern in der Dorfmetzgerei
zur Hand gehen. Das aber geht genauso wenig gut. Soll er auf dem Hof die Därme
für die Weißwurst spülen, kann man schon vorher darauf wetten, dass der Bub
nach fünf Minuten wieder wegrennt und die Därme fliegensummend in der Hitze
brüten. Auch die Metzgerkarriere des nunmehr sechzehnjährigen Gottfried
Dandlberg ist deshalb nach wenigen Monaten beendet. Er weist in seiner
Berufswahl einfach keine Ähnlichkeit mit seinem Namensgeber auf.
    Die Eltern jammern und lamentieren über ihn, zum Teil aus lauter
Gewohnheit. Manchmal hat Gottfried den Eindruck, sie lauern schon auf den
nächsten Grund, in Klagen auszubrechen. Ja, manchmal schämt er sich sogar, wenn
er der Mutter oder abends dem Vater nicht einen einzigen Anlass gegeben hat,
über ihn zu stöhnen und sich zu beschweren.
    Er geht gern ins Dorf. Die Menschen im Ort zeigen zwar meistens nur
jene Art von Nettigkeit, die man einem Huhn oder einem Schaf entgegenbringt,
das am selben Abend geschlachtet werden soll. Die eine oder andere Frau legt
ihm den Arm um die Schulter oder steckt ihm ein Stück Schokolade zu.
    Doch Gottfried fühlt sich insgesamt wohl, und es geht ihm gut. Er
liebt seine Eltern und seine Geschwister, und irgendwann, vor lauter
Verzweiflung, lieben auch sie ihn, so wie er eben ist: klein, schmächtig,
charmant und gut aussehend. Unter seinem roten Schopf hat er klare Augen, und
er bewegt sich flink. Er hat etwas Eichhornartiges an sich, etwas Leichtes,
Flüchtiges, Träumerisches. Und eine Eigenart ist ihm dazu noch als Erfahrung
aus seinen zahlreichen Entdeckungsreisen geblieben: Immer hat er sich an ein
Wesen geklammert, das er für eine gewisse Zeit gern haben kann, damit er sich
nicht allein fühlen muss. Das kann die Marktfrau sein, das Mädchen, das auf
einem Stein sitzend die Quelle bewacht, der Beamte, der täglich um dieselbe
Zeit aus dem Zug oder aus dem Bus steigt, die Kuh auf der Weide, der Hund, der
an die Kette gehängt

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