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Spiel mir das Lied vom Wind

Spiel mir das Lied vom Wind

Titel: Spiel mir das Lied vom Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
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sie. Bitte keine Erinnerungen! »Wir melden uns.«
    Brummer saß im Auto, als Sonja um die Ecke bog. Sein Kopf hing vornüber, als schliefe er. Sie setzte sich neben ihn und sah, dass er einen Bogen Papier auf seinen Knien beschrieb. Er zog ein leeres Blatt Papier aus dem Handschuhfach und reichte es ihr. Sie ergab sich in ihr Schicksal und fertigte ebenfalls für Wesseling einen handschriftlichen Bericht über Jessica Polzin und Familie Graf an.
    Sie schielte zu Brummer. Er schielte zu ihr. Als sie fertig waren, tauschten sie die Seiten aus. Sonja stellte fest, dass sie erfolgreicher gewesen war als er. Aber er konnte nichts dafür, dass Jessicas Nachbarn meinten, bei ihr gingen die Männer ein und aus. Einer sähe aus wie der andere. Auch ein älterer wie Peter Reiners mochte darunter gewesen sein. Aber sie hingen ja nicht ständig hinter den Gardinen. Keine Namen, keine Anschriften.
    Sonja dagegen trumpfte mit drei neuen Anschriften auf und verlangte von Brummer das Passfoto zurück, das sie wieder in ihrer Jackentasche verschwinden ließ, um es bei nächster Gelegenheit dem Oberstaatsanwalt aushändigen zu können. Sie wollte es nicht wahrhaben, aber Wesseling hatte auf seine Art einen regelrechten Wettstreit unter seinen Kommissaren ausgelöst.
    »Wir haben mehr getan, als wir sollten«, sagte Brummer schließlich und warf den Motor an. Er verließ Schleiden in Richtung Wolfgarten, hielt in Gemünd auf der Kölner Straße an einem blauen Pavillon an. Eine Frittenbude. Er fragte, ob Sonja auch Hunger habe.
    »Auf Kuchen«, antwortete sie.
    Er zeigte auf die gegenüberliegende Seite. »Da drüben ist ein Bäcker.
    Er aß eine Currywurst mit Fritten, sie ein Stück Pflaumenkuchen ohne Sahne aber mit Zimt. Sie sprachen nicht. Brummer kratzte die Sauce vom Tablett, sammelte die Papierreste ein und entsorgte sie brav im Papierkorb neben der Frittenbude. Als er wieder einstieg, wischte er sich den Mund mit dem Handrücken ab und sagte: »Ich bring dich noch nach Hause, danach ist Feierabend für heute.«
    Da mischte sich Wesseling per Handy ins Geschehen und fragte nach dem Bericht vom KK Euskirchen.
    »Immer mit der Ruhe. Wir können ja nicht hexen«, sagte Sonja.
    »Der kann mich mal«, meinte Brummer, nachdem er das Gespräch weggedrückt hatte.
    Im Kriminalkommissariat schlurfte Brummer hinter ihr her in ihr Büro, das für drei Mitarbeiter ausgestattet war. Die beiden anderen Kollegen gab es nur für spezielle Einsätze oder Anordnungen von ganz oben. Wie Brummer und Neugebauer. Brummer erinnerte sich nicht mehr, wo er beim letzten Mal gesessen hatte und setzte sich auf Neugebauers Platz.
    Er tippte noch, als Sonja ihren Bericht schon übers Netz verschickt hatte. Sie durchforstete ihren Posteingang, goss die beiden Blumen auf der Fensterbank, machte zwei Tassen Kaffee aus Kaffee-Pads, sie lüftete, sie ging auf die Toilette, Brummers Zeigefinger hackten unermüdlich auf die Tasten ein. Sie war kurz davor, ihm zu Hilfe zu eilen, als er aufstöhnte und »Fertig« sagte, wie ein kleiner Junge, der auf dem Topf gesessen hat.
    Er fuhr sie später schweigend nach Wolfgarten, brummte ein »Schönen Abend noch« und wendete sein Auto, noch bevor sie sich zum ersten Mal gegen die Haustür hatte fallen lassen. Sonja wusste nicht viel von ihm, er war nicht gerade mitteilungsbedürftig. Vielleicht hatte er eine Familie, mit der er gern das restliche Wochenende verbringen wollte. Frau, Kinder und womöglich sogar einen Hund.
    Ganz im Gegensatz zu ihr. Nur West saß vorwurfsvoll vor der Haustür. Sonja nahm ihn hoch und trug ihn ins Haus. Sie glaubte an ihm etwas gut machen zu müssen, besonders den Verlust des anderen vierbeinigen Hausgenossen, den sie, je weiter sein Tod zurücklag, umso schmerzlicher empfand. West schien besser damit zurechtzukommen. Endlich war er wieder Herr im Hause. Allzu gern ließ er sich verwöhnen. Mit gnädigem Blick akzeptierte er Sonderzuwendungen aller Art.
    Sonja schüttete seine geliebten Leckerchen in seinen Napf. Während Wests Kaugeräusche durch das stille Forsthaus knackten, zog sie ihre Jacke aus, hängte sie an den Türknauf und fischte ihr Handy aus der Seitentasche. Ein kleines Foto fiel dabei heraus. Sie bückte sich, hob es hoch und legte es auf den Esstisch.
    Als sie Peter Reiners’ Gesicht auf dem Passfoto begutachtete, stutzte sie. Sie rieb sich die Augen. Ein böser Streich, den ihr die Erinnerung spielte? Sie drehte eine Runde um den Esstisch, rückte die Stühle gerade und

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