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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
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erinnerst dich
doch noch, wie es war, als die Mauer fiel? Dass ich dich dazu zwingen musste, den Telefonhörer hinzulegen und deinen blöden Fernseher einzuschalten? Das hier ist genau das Gleiche, Junge, nur eine Nummer größer.«
    Ich lachte gereizt. Es stimmte, ich hatte es nicht geglaubt, dass die Mauer gefallen war. Er hatte mich gezwungen, zum Fernseher in meinem Schlafzimmer zu gehen. Die alte Höhle hatte nach Lola noch drei Bräute von mir gesehen, alle noch am Leben und keine so geliebt wie sie. Die Polyester-Vorhänge von meiner letzten Frau waren noch da und scheußlicher Nippes aus ihrer Kindheit in Roanoke. Inzwischen hat sie das Zeug abgeholt, Gott sei Dank.
    Ich setzte mich also aufs Bett und schaltete den vorsintflutlichen Fernseher an. Es dauerte nur zehn Sekunden, da dachte ich, mich trifft der Schlag, denn was ich da sah, konnte einfach nicht wahr sein. Leute hackten mit Pickeln auf die Berliner Mauer ein, diese hässliche Betonwand voller Graffiti. Champagnerkorken knallten. Geschrei und Tränen und Blitzlichter wie Mündungsfeuer im Dunkeln, während überall durch die Breschen Menschen quollen. Manche zu Fuß mit abgetragenen Schuhen und dreckigen Jeans. Manche in diesen komischen Spielzeugautos, Trabbis, und die Leute hauten vor Begeisterung Beulen in die Dächer. Ich saß davor wie ein Mönch, der im Gebet versunken ist, fassungslos. Dieses Berlin war eine total fremde Stadt. Dort waren wir nie gewesen.
    Chip rutschte in seinem Sessel nach vorn und stieß mit dem großen Zeh an das leere Glas, das er auf dem Boden abgestellt hatte. »Du weißt, was ich meine, Mann. Du weigerst dich ganz einfach, in der Welt zu leben.«
    »Hör mir auf. Gehört Baltimore vielleicht nicht zur Welt?«
Ich schüttelte den Kopf. »Und ich fliege morgen nach Berlin, oder? Zählt Berlin nichts?«
    Chip schmunzelte. Er bildete sich was drauf ein, dass er der gerissenste Schweinehund auf dieser Seite des Atlantiks war. Schon als wir jung waren, war er so gewesen. Es ist eine richtige Manie, so ein unwiderstehlicher Drang, sich querzulegen.
    Das sagte ich ihm. Es war nämlich so, dass ich Opfer gebracht hatte. Ihm zuliebe.
    »Schau mal, das ist doch genau das, was ich meine«, sagte er. »Zum Beispiel diese Reise nach Berlin. Diese Dokumentation. Das machst du doch nicht meinetwegen. Hoffe ich jedenfalls. Du tust es für Hiero. Für die Geschichte des Jazz. Für dich selber.«
    Ich hob ironisch eine Augenbraue. »Erinnere mich daran, dass ich mir selber eine Rechnung dafür schicken muss.«
    Denn es war ja wirklich so. Ich hatte Opfer gebracht, einzig und allein Chip zuliebe. Ungefähr ein Jahr zuvor war er zu mir gekommen, ganz aus dem Häuschen wegen dieser Dokumentation. Ein finnisch-deutscher Filmemacher namens Kurt Caspars, der mit einem Enthüllungsbericht über Zwangsprostitution in Holland bekannt geworden war, hatte von einem deutschen Fernsehsender den Auftrag bekommen, einen Film über Hieronymus Falk zu machen. Caspars war genau der richtige Mann für so ein Projekt, erklärte Chip, weil seine schnellen Bildfolgen, die wie Axthiebe einschlugen, viel mit Hieros Art, Trompete zu spielen, gemeinsam hatten. Aber wie jeder Künstler brauchte Caspars Rohmaterial, aus dem er seinen Film bauen konnte. Und wir beide sollten ihm sozusagen die nötigen Ziegel und den Mörtel liefern.
    Caspars wollte sprechende Köpfe, die neunzig Minuten lang über alle Details von Hieros Dasein Auskunft gaben. Wir alle wissen, dass Buddy Bolden in der Klapsmühle starb und Bix Beiderbecke am Suff, aber was wissen wir von Falk? Es wird berichtet, dass er bald nach seiner Befreiung aus Mauthausen, einem KZ in Österreich, zu Tode kam. Bloß wie und wann und wo, das kann uns niemand sagen. Und wenn man weiß, dass er starb, nachdem er in einem Lager gewesen war, weiß man noch lange nichts über die Art und die Umstände seines Todes: Ob er an den Folgen seiner Leiden und Entbehrungen starb oder vielleicht gar an dem abrupten Übergang in eine Welt ohne diese Schrecken, in eine leerlaufende Sicherheit, die ihm fremdartig grau in grau erschien. Und erst recht nicht weiß man, was das alles für ihn bedeutet haben mag, ob er den Tod als Erlösung willkommen geheißen oder ob er sich mit aller Kraft gegen diese letzte Grausamkeit des Schicksals gewehrt hat.
    Mann, es gab nicht mal ein Grab.
    Ich hatte nicht die geringste Lust, mich filmen zu lassen, und noch weniger, zur Premiere nach Berlin zu fliegen, um mir dort diesen blöden Film

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