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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
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schwarzen Abendkleid; sie trug Stiefel und saß in sich zusammengesunken auf dem Randstein an der Champs-Élysées. Die Taxis hupten, aber sie hob nicht mal den Kopf. Die Leute gingen vorbei, ohne sie zu beachten.
    Praktisch von einem Tag zum nächsten verschwanden die Busse aus der Stadt. Die Leute redeten von Fallschirmjägern, von deutschen Spionen, von der Fünften Kolonne. Vor der Fassade von Notre Dame wurden Sandsäcke aufgeschichtet; die Stände der Bouquinisten am Seineufer hatten immer noch geöffnet. Es war eine seltsame Zeit. Wir sahen Mülllaster, auf denen Maschinengewehre montiert waren, auf Plätzen postiert. An der Champs-Élysées, auf der Place de la Concor
de wurden Panzersperren errichtet. Die Bug schraubte ihr Telefon von der Wand; öffentliche Telefone waren jetzt in Paris verboten.
    Und wir warteten immer noch.
    Dann stürzte eines Morgens Delilah in die Wohnung, barfuß, ihre Schuhe in der Hand.
    Ich rappelte mich auf.
    »Sie sind da«, rief sie atemlos. »Unsere Visa. Es hat geklappt.«

    Die Zeit verläuft nicht stetig. Ihre Geschwindigkeit hängt davon ab, wie schnell man sich selbst bewegt. Sie ist veränderlich. Und damals flitzten wir alle in einem Höllentempo dahin.
    Am Nachmittag ging ich mit Delilah in die Tuilerien. Der riesige öffentliche Park war von frühsommerlicher Heiterkeit und goldenem Licht durchflutet. Die Bäume waren satt grün, die Bienen summten wie besoffen von Blütenduft – es hätte irgendein Sonntagnachmittag in tiefstem Frieden sein können. Delilah ging mit leichten Schritten, ihre Schultern ganz locker, ihr Gesicht glatt und froh, so wie ich es in Erinnerung hatte. Sie trug ein dünnes Baumwollkleid, das im Wind flatterte. Mann, dachte ich, wenn nach so einem Tag die Welt untergeht, na und?
    Das Gras in den Tuilerien sah aus, als wäre seit Wochen nicht mehr gemäht worden. Ein Polizist schlenderte vorbei, ein Gewehr über der Schulter, den Helm in der Hand. Und dann verstand ich plötzlich, warum ich so ein komisches Gefühl hatte.
    »Wo sind die Kinder?«, fragte ich. »Es sind keine Kinder da.«
    Delilah zuckte die Achseln. »Hast du das nicht mitge
kriegt? Die Kinder sind aufs Land gebracht worden. Schon vor Wochen.«
    Es fühlte sich unwirklich an. Ich beäugte argwöhnisch einen Mann neben einer Eisbude, der eine Zeitung las. Seine großen dicken Hände waren rot, als arbeitete der Typ in einer Seifenfabrik. Selbst aus der Entfernung konnte ich erkennen, dass er hinkte.
    »Hier triffst du also den Kontaktmann?«, sagte ich. »Wie sieht er aus?«
    Delilah antwortete nicht. Dann drehte sie sich um. »Ah«, sagte sie, »da ist Simone.« Sie deutete in Richtung einer Bank weiter vorn am Weg. »Soll ich dich ihr vorstellen?«
    »Was soll das? Wir haben keine Zeit für so was.«
    Simone war eine zierliche Frau mit Brille, in Tweed gekleidet. Ihr braunes Haar war in Höhe der Wangen abgeschnitten. Es sah aus, als hätte sie es selbst gemacht. Sie wirkte wie eine Lehrerin. Sie saß mit mürrischer Miene auf dieser verschrammten Bank und schaute zu uns herüber. Nicht das kleinste Lächeln in ihrem Gesicht. In einer Hand hielt sie eine zusammengerollte Zeitschrift, mit der anderen nahm sie Vogelfutter aus einer braunen Papiertüte und streute es den Tauben im Gras hin.
    »Sie wirkt echt freundlich«, sagte ich. »Flotte Tussi. Woher kennst du sie?«
    Die Tauben gurrten und machten uns Platz, als wir näherkamen, dann pickten sie weiter. Delilah setzte sich neben die Frau und sagte etwas auf Französisch.
    »Sprechen Sie englisch«, sagte die Lehrerin. Sie hatte eine wunderschöne Stimme.
    »Entschuldigung.« Lilah errötete. »Ich habe nicht daran gedacht.«
    Die Lehrerin zuckte die Achseln. »Sie reisen mit Ihrem amerikanischen Pass. Ihren kanadischen behalten Sie in der Tasche. Es ist immer besser, man gehört zu einem neutralen Land.«
    Ich starrte sie verwundert an. Ich war plötzlich ganz nervös.
    »Sie sind Sidney Griffiths?«, fragte die Lehrerin.
    »Ich bin nicht Chip Jones, darauf können Sie Gift nehmen.«
    Sie musterte mich. Ihre Brillengläser waren so dick wie Flaschenböden, und sie schien ein bisschen zu schielen. Ihr linkes Auge sah an einer Seite meines Kopfs vorbei, das rechte an der anderen. Ich schaute weg. Sie gab Delilah die zusammengerollte Zeitschrift. Es war eine alte Nummer von Life . »Prüfen Sie alles sorgfältig. Meine Leute sind gut, aber ein Fehler kann immer mal vorkommen. Denken Sie daran, dass Sie Ihre Geburtsurkunden

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