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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
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dazulegen müssen.«
    Die Tauben durchkämmten das hohe Gras und pickten eifrig.
    Delilah schlug die Zeitschrift auf. Darin lagen unsere Papiere. Sie starrte sie an, als traute sie ihren Augen nicht. Langsam blätterte sie mit zitternden Händen die Dokumente durch. Delilah Natasha Fummerton Brown. Charles Chippewah Jones. Sidney Roscoe Griffiths. Alle Namen doppelt mit der Schreibmaschine getippt, in roter Schrift. Jeweils mehrere Blätter und dazu unsere Pässe. »Mein Gott«, murmelte Delilah. »Oh, mein Gott.«
    »Die Papiere von Falk sind nicht dabei«, sagte die Lehrerin.
    Ich warf ihr einen Blick zu. Stimmen näherten sich, zwei junge Frauen fuhren auf Fahrrädern an uns vorbei. Sie beachteten uns nicht.
    »Wieso nicht?«, fragte ich.
    Sie seufzte, ihre Mundwinkel fielen nach unten. »Bei ihm ist die Sache leider ein bisschen komplizierter.«
    »Wie viel komplizierter?«
    Sie nahm Delilah die Zeitschrift weg, rollte sie eng zusammen und drückte sie ihr wieder in die Hand. »Geben Sie gut darauf acht«, sagte sie. »Ja, es ist komplizierter. Es wird noch ein bisschen dauern. Er braucht nicht einfach nur Visa, sondern außerdem auch noch eine neue Identität. Und an Pässe kommt man nicht so leicht ran. Wir arbeiten aber an der Sache. Es wird schon klappen.«
    »Strengen Sie sich an«, sagte ich. »Es muss klappen.«
    »Sicher.« Sie richtete den Blick dieser beunruhigenden, unfokussierten Augen auf mich. Ich wusste nicht, wohin ich schauen sollte. »Geben Sie gut auf ihn acht, bis wir Ihnen die Papiere bringen. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, wir werden Sie finden.«
    »Wir haben keine Wahl, denke ich. Wir müssen Ihnen vertrauen«, sagte ich. Ich fühlte eine alte Bitterkeit in mir aufsteigen.
    »Ja. Das stimmt.«
    »Wir vertrauen Ihnen ja, Simone«, sagte Delilah. »Wir sind nur nervös.«
    »Wenn ich weg bin, warten Sie fünf Minuten, dann gehen sie beim Osteingang raus.« Die Lehrerin stand auf, strich ihren langen Wollrock glatt und schaute hinauf zur Sonne. »Guten Tag.« Ganz lässig, ohne uns anzusehen, spazierte sie davon.
    Delilah beugte sich zu mir herüber und fasste mich fest an der Schulter. »Es geht los«, flüsterte sie. »Sid? Es wird klappen, ganz bestimmt.«
    Aber über dem ganzen Park lag jetzt eine sonderbare melancholische Stimmung. Ich sah die von der Sonne beschienenen Köpfe der jungen Frauen, die in Sommerkleidern herumschlenderten. Ich starrte die eisernen Tische auf einer Terrasse an, die alten Männer, die dort in ihren Sonntagshemden saßen und lachten. Alles wirkte verzögert in dieser trägen Stunde und traurig. Bitterkeit überkam mich wie der Schatten halb erinnerter Tage. Verdammt, ich wusste, dass das alles kaputtgehen würde.
    In unserer Straße trafen wir Chip, der in einem Hauseingang lehnte, als wollte er ein bisschen frische Luft schnappen.
    »Was machst du da, Mann?«, rief ich.
    Er richtete sich auf, wischte ein bisschen Staub von seiner Hose. »Wie war’s? Habt ihr sie?«
    Ich klopfte auf meine Jackentasche. »Alles in Butter, Mann, alles in Butter.«
    »Ah, gut, sehr gut.«
    »Nur Hieros Papiere sind noch nicht fertig«, sagte Delilah leise. Sie schaute hinauf zur Wohnung, ich folgte ihrem Blick. Da oben hinter einem der Fenster stand der Junge, eine dunkle Gestalt, und sah zu uns hinunter.
    »Was macht er da?«, fragte Delilah.
    »Ernsts Horch ist weg«, sagte Chip. »Gestohlen.«
    Ich traute meinen Ohren nicht. Ich drehte mich um und sah ungläubig die Straße hinauf. »Aber es gibt doch nicht mal Benzin zu kaufen. Was soll das? Wollen die das Auto etwa schieben ?«
    Delilah schüttelte finster den Kopf. »Wir müssen weg, unbedingt. In einer Woche ist Paris ein Schlachtfeld.«
    »Sag das mal dem Jungen«, sagte Chip. »Seinetwegen können wir nicht weg.«
    »Es nicht seine Schuld.«
    »Nein. Aber wenn er nicht wäre, könnten wir abhauen.«
    Sie sah ihn düster an, ging über die Straße und verschwand im Haus. Ich starrte zur Wohnung hinauf, sah aber den Jungen nicht mehr. Die Straße war leer, kein einziges Auto war zu sehen. Riesig groß ragten die Häuser auf, öde und dunkel.
    »Hast du nicht auch das Gefühl, die Leute wissen was, was wir nicht wissen?«, fragte ich.
    Chip zuckte die Achseln. »Sieht ganz so aus.«
    Rauchschwaden wehten über der Stadt nach Süden.
    »Da verbrennt jemand was«, murmelte Chip.

    Am nächsten Morgen kam Chip auf die Idee, zur Polizei zu gehen und den Diebstahl des Autos anzuzeigen. Ich versuchte es ihm auszureden,

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