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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
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Strich in der Landschaft. Ich schüttelte den Kopf, wenn ich ihn so sah. Er wirkte mehr und mehr gehetzt.
    Und dann eines Morgens brach er einfach zusammen. Er
hatte nicht mal mehr genug Kraft, seinen ausgemergelten Körper aus dem Bett zu hieven. Und seine ganze Verfassung war derart stockdüster, dass uns angst und bange wurde.
    Ich fand Delilah in ihrem Zimmer. Ihr Gesicht war ganz zerknittert vor Kummer. Ich wusste, was ihr im Kopf herumging. »Er ist nur schwach«, sagte ich. »Ist doch klar, wenn er die ganze Zeit nichts isst.«
    »Es ist genauso wie bei Louis«, sagte sie.
    Ich runzelte die Stirn. »Quatsch, Hiero ist nicht krank.«
    Sie saß an der Frisierkommode und starrte abwesend in den Spiegel. »Louis hat auch nichts mehr gegessen.«
    »Louis hat immerhin Matzen gegessen.«
    Sie lächelte traurig. »Ja, das stimmt.«
    »Meinst du, er hat sich bei Louis angesteckt?«
    Sie zuckte betrübt die Achseln. »Ich weiß nicht. Na ja, Louis ist wieder gesund geworden. Wenn Hiero dasselbe hat wie er, wird er’s auch überstehen.«
    Aber es klang angespannt. Ich stand hinter ihr und beobachtete sie im Spiegel, wie sie das Tuch um ihren Kopf abnahm. Die Stille hatte etwas so Intimes, Zerbrechliches. Ich hielt den Atem an. Ihre Kopfhaut war glatt, bleich, fast bläulich. Sie fuhr in Gedanken mit der Hand darüber, ihr Blick wanderte hinüber zu dem Fenster mit den aufgezogenen Verdunklungsvorhängen. Ich trat zu ihr hin, legte eine schwielige Hand auf die zarten Vogelknöchelchen ihrer nackten Schulter.
    »Es ist ernst, Sid«, sagte sie leise. »Wir müssen ihn von hier wegschaffen.« Dann ließ sie ihre Hand sinken und löste sachte einen meiner Finger nach dem anderen von ihrer Schulter.
    »Nicht, Sid«, sagte sie. »Es ist vorbei.«
    Das Blut schoss mir ins Gesicht. »Lilah, ich wollte nicht …
Ich meine, das war nicht –« Ich verstummte. Ich kam mir wie ein Idiot vor. Es stimmte ja, irgendwie dachte ich immer noch, so etwas wie das zwischen uns kann nicht einfach so aufhören .
    Aber als ich sie dann sah, in ihrem Gesicht keine Spur von Ärger, sondern nur tiefe Trauer, wusste ich, dass das, was zwischen uns gewesen war, nur noch Staub und Asche war.

    Trotzdem, irgendwie hatte sich ein Knoten gelöst, eine Art zarte Freundlichkeit kehrte zurück. Wir waren alle ganz fiebrig vor Angst, dass wir die Visa nicht kriegen würden. Dass wir andauernd zusammengepfercht in der kleinen Wohnung rumsaßen, machte die Sache nicht besser. Wir waren ausgelaugt, dünn, lustlos.
    Und dann kam eine Nachricht von Armstrong. Wir hatten wochenlang nichts von ihm gehört. Ich hatte gesehen, dass Lilah sich Sorgen um ihn machte, auch wenn sie es konsequent vermied, darüber zu reden. Jeden Morgen hatte sie aufmerksam die Zeitungen studiert, diese Notausgaben, die nur aus einem einzigen doppelseitig bedruckten Blatt bestanden und immer wieder weiße Lücken im Text aufwiesen, wo die Zensur Passagen gestrichen hatte. Der Krieg war schon da, auch wenn die Deutschen noch fern waren.
    An diesem Tag kam ein Brief mit der Post. Offenbar war er lange unterwegs gewesen. Armstrong schrieb, dass er Plätze auf einem Schiff gebucht hatte, das am 4. Juni von Bordeaux auslaufen sollte – inzwischen musste er schon mit den Leuten von seiner Band auf dem Weg in die Staaten sein. Lilah sollte zu ihm nach Bordeaux kommen, und uns sollte sie mitbringen; wir dürften auf keinen Fall diese Möglichkeit, aus Frankreich wegzukommen, verpassen. Um seine Sachen, die er
noch in Paris hatte, sollte sie sich keine Sorgen machen. Scheiße. Lilah biss die Zähne zusammen, als sie das las, ihr Blick wurde hart.
    »Hauptsache, er hat es geschafft«, sagte Chip finster. Er schnaubte und stand auf.
    Hiero wirkte, als wäre er aus einem schönen Traum aufgewacht und stellte plötzlich fest, dass er sich in einem eiskalten Zimmer befand. Er zog eine Schulter hoch, drehte sein Gesicht weg und schloss die Augen.
    Die Plattenaufnahme war endgültig gestorben. Aus und vorbei. Ich hatte gedacht, das würde mich freuen oder ich würde wenigstens erleichtert sein, aber das war überhaupt nicht so. Der Junge tat mir leid.
    Wir fühlten uns hilflos und im Stich gelassen. Und der Krieg kam immer näher. Jeden Tag sahen wir auf den Boulevards Flüchtlinge mit Handwagen, Schubkarren, Kinderwagen voller Gepäck auf dem Weg nach Süden. Holländische und belgische Familien zogen vorbei, die Leute schoben Fahrräder und wirkten vollkommen erschöpft. Ich sah eine Frau in einem

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