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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
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dem er, vollgepumpt mit Heroin, seine Freundin erwürgte. Danach swingten wir mit anderen. Es war ein Karussell, das nicht stillstand.

    Es war ein kühler Abend, der Wind trug den kupfernen Geruch von Autoabgasen durch die Straßen. Ich blickte über das Gras auf dem Rosa-Luxemburg-Platz auf das ockerfarbene Babylon Filmtheater. Aus der Entfernung erinnerte es mich an ein Stück Cheddar, wegen der Farbe und der schrägen Winkel. Die letzten Sonnenstrahlen lagen auf dem Gebäude, hell hob es sich vom Grau des Platzes ab.
    Chip stand zwischen mir und unserem unheimlich schweigsamen Betreuer mit dem vernuschelten Namen. Chip richtete seine Frisur; er spuckte auf seine Finger und tupfte dann auf die blassen Stellen in seinem Afro. Ich hatte Lampenfieber. Nervös schaute ich an ihm vorbei auf das Babylon und all die Leute, die auf den Platz strömten. Allein die Tatsache, dass es viele waren, machte mir zu schaffen. Ich schluckte, meine Kehle fühlte sich an wie zugeschnürt.
    »Sid? Dir flattern die Nerven, oder?«, sagte Chip.
    Ich winkte ab. »Alles okay.«
    Der ganze Platz bis hinüber zur Volksbühne mit ihren Furcht einflößenden grauen Säulen war mit Menschen bedeckt wie mit einem wogenden Teppich. Das Babylon war so dicht umlagert, dass man nicht niesen konnte, ohne seinen Nachbarn mit Rotz zu besprühen. Als ob die ganze Stadt ausgerückt wäre. Scheiße, ich hatte nicht damit gerechnet, dass das so eine große Angelegenheit sein würde.
    »Wie sollen wir da überhaupt reinkommen?«, fragte ich. »Da kann man sich ja nicht mal bis zur Tür durchkämpfen.«
    »Wir kommen schon rein, nur die Ruhe.« Chip musterte
mich, die dünnen Austernlippen verkniffen. »Bist du sicher, dass mit dir alles in Ordnung ist? Du bist ein bisschen blass um die Nase, Sid.«
    »Quatsch.«
    Chip grunzte und klopfte mir auf die Schulter. Seine Hand fühlte sich gut an, sie machte mir Mut. Mir war gar nicht wohl zumute. Die Ärmel von Chips Anzug waren zu kurz. Es sah aus, als hätte ich sie hochgeschoben, um mir die Hände zu waschen. Und das Hemd war zu weit am Kragen – Chip hat einen Hals wie ein Stier.
    Ich überlegte, ob ich ihm das sagen sollte, aber ich ließ es sein. »Ich hätte dir sofort eine reinhauen sollen, als du mich gefragt hast, ob ich mitfahre«, knurrte ich.
    Das schien mir eher passend.
    Aber Chip lachte nur und führte mich und unseren Betreuer zum Eingang. »Das wäre sinnlos gewesen. In meinem alten Schädel ist kein Zahn mehr, den du mir ausschlagen könntest, und auch der letzte Fetzen Verstand ist längst weg.«
    »Das stimmt wahrscheinlich.«
    Er drehte sich zu mir und grinste. »Bist du bereit, wieder in die Welt zurückzukehren, Sid?«
    Und bevor ich etwas antworten konnte, hatte er schon die Tür aufgerissen und mich vorwärts geschoben.
    Plötzlich brach um uns herum die Hölle los. Überall schossen massenhaft Gesichter hoch, Rufe schwirrten durch die Luft wie gefangene Vögel. Chip Jones! Mr Jones! Sidney Griffiths! Charles! Sid! Die Blitzlichter glitzerten wie Sonnenstrahlen auf bewegtem Wasser. Unser Betreuer, der arme Wurm, war viel zu ängstlich und zu mickrig, um was zu unternehmen. Während er aufgeregt quiekend die Leute aufforderte zurückzutreten, wurde ich im Gedränge hin und ge
schubst, fiel beinahe die Treppe mit dem roten Teppich hinunter, mein seidener Anzug streifte den von Chip. Mich überkam der heftige Impuls, mich an Chip zu klammern, aber ich wollte mich nicht vollends lächerlich machen und hielt einfach nur den Atem an. Die Luft war stickig und schwül wie eine Julinacht in Baltimore. Um uns herum war alles rot und gelb von der untergehenden Sonne, die durch die Fenster hereinschien, die Wände, die Blusen und Handtaschen, die Schuhe. Ich hatte das Gefühl zu ersticken vor lauter Ringelblumenfarbenpracht. Und die Leute riefen die ganze Zeit nach so einem Blödmann namens Sidney Griffiths, als ob der Typ sich verlaufen hätte.
    »Ein bisschen nervös, was?«, sagte plötzlich eine sanfte Stimme direkt neben meinem Ohr. Caspars’ Arm schob sich unter meinen.
    Das Gedränge um uns wurde lichter, und ich drehte den Kopf nach Kurt Caspars. Seine dicken Pausbacken, sein skandinavisch blasses Gesicht standen in hartem Kontrast zu seinem schwarz gefärbten Haar. Er hatte dieses Halbmastlächeln aufgesetzt, ein ironisches Lächeln, das einem das Gefühl gibt, irgendwo ist gerade was ganz Furchtbares passiert und man selber ist der letzte Schwachkopf, weil man nichts davon mitbekommen

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