Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
Vom Netzwerk:
sehen konnte. Und da wand sie sich und zappelte zu dieser drögen alten Musik von Camille Saint-Saëns – sie war einfach der Hammer.
    In der verrücktesten Zeit gab es mehr als zwanzig Varietés. Echt wahr. Praktisch jeder Talentsucher wurde zu einem Kolumbus, überall konnte er Entdeckungen machen. Marlene Dietrich in Zwei Krawatten , Ursula Fuller in der Roten Feder . Wer hätte gedacht, dass die Fuller, ein so feines Geschöpf, ein Engel auf Erden, sich ihre Brötchen in diesem Bumslokal verdiente? Denn die Feder überließ nichts der Phantasie. Wir waren nur einmal dort, aber ich werde das nie vergessen. Die Tänzerinnen traten fast nackt hinterm Vorhang hervor, setzten sich mit gespreizten Beinen bei irgendwelchen Herren auf den Schoß und zogen sich nach und nach an. Es war, als beobachtete man die Frau des Nachbarn, das jedenfalls war die Idee des Ganzen. Ich erinnere mich allerdings, dass Ernst sich zu mir herüberbeugte und grinsend fragte: »Aber wer hat schon eine Nachbarin, die so aussieht?«
    Es klopfte an der Tür, und ich stand stöhnend auf. Wahrscheinlich war es der blöde Koffer aus Polen, dachte ich.
    Es war nicht der Koffer. Ein Typ stand da und streckte mir einen blauen Anzug auf einem Kleiderbügel entgegen. »Mr Jones lässt Ihnen das hier bringen«, sagte er auf Deutsch. »Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle.« Aber da er so demütig nuschelte, noch dazu rasend schnell, kriegte ich seinen Namen nicht mit. Ich verstand nur, dass er offenbar von den Organisatoren des Festivals geschickt worden war, um uns zu betreuen. »Wenn es Ihnen nicht zu viel Mühe macht«, stammelte er, »könnten Sie vielleicht in einer Stunde fertig sein?« Klar, Mann. Ich schloss die Tür. Ich fürchtete fast, er würde nun die nächste Stunde da draußen auf dem Gang Wache stehen, und lugte durch den Spion. Gott sei Dank, der Mann hatte mehr gesunden Menschenverstand, als man meinen konnte.
    Mir war von vorneherein herein klar, dass Chips Anzug mir nicht passte. Auch Chip wusste das. Ich legte das gute Stück behutsam aufs Bett, trat dann ans Fenster, zog die Vorhänge auf und schaute hinaus auf die Stadt. Es dämmerte schon, es wurde Abend. Die Straßenbeleuchtung ging an. Ich blickte über die Dächer, zur glitzernden Kuppel des Reichstags und hinab auf die Bäume an den Straßen tief unter mir.
    Eine Stadt kann sich wandeln, ohne dass sie eine andere wird. Das weiß ich längst. Ich erkannte Baltimore kaum wieder, als ich aus Paris zurückkam. Aber Berlin ist nicht irgendeine Stadt. Ich weiß noch, wie gefragt Chip und ich waren, als wir zum erstenmal hierherkamen. Deutsche Jazzbands brauchten uns, damit die Sache auch was hermachte. Man musste eine paar waschechte Yankees vorn auf die Bühne
stellen, dann erst war das Ganze echt. Mit diesem Festival war es nicht viel anders.
    Damals ging das so weit, dass sogar Deutsche sich als Amerikaner ausgaben. Herr Mike Sottneck aus New York kündigte seine Band als »amerikanische Jazz-Tanzkapelle« an. Das war nicht die einzige Fälschung. Immerhin lernten die Krauts was von uns. Wir stammten aus der Heimat des Jazz, und darum hatten wir ein Gefühl für diese Musik. Das hat nichts damit zu tun, dass wir schwarz sind, es ist nur einfach so, dass wir mit dem Jazz aufgewachsen waren. Dass bei uns daheim die Leute einer bestimmten Klasse keine Scheu hatten, diese Musik auch zu Hause zu spielen. Die Krauts hatten eine klassische Ausbildung und waren nie so ganz aus dem schmalzigen kontinentalen Salontanzstil ausgebrochen. Dieser Stil war wie eine Krankheit, die Instrumente der Leute waren davon infiziert.
    Ich sag nicht, dass alle so waren. Aber wenn man Leute wie Gluskin und Bela hörte, ihre hektischen harmonischen Wechsel und das aalglatte Schlagzeug, dann denkt man, man ist gestorben und in die Hölle gekommen. Da swingt nichts, aber auch gar nichts. Null Gefühl für Improvisation. Ernst erzählte mir, er habe mal Wilhelm Bosch dabei ertappt, wie er ein Solo von Red Nichols von einer Schallplattenaufnahme transkribiert hat. Das muss man sich mal vorstellen. Red Nichols ist schon schlimm genug, und dann noch Bosch, der diesen faden Mist Note für Note vom Blatt spielt. Ernst musste so lachen, dass ihm richtig schlecht wurde.
    Chip und ich gaben uns mit so was nicht ab. Wir waren Snobs, Puristen. Wir swingten mit Franz Grothe und Georg Haentzschel, Walter Dobschinski und Ernst Höllerhagen und Stefan Weintraub. Wir swingten auch mit Eric Borchard
bis zu jenem Abend, an

Weitere Kostenlose Bücher