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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
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Zahl von Anhängern dieser Musikrichtung.«
    Mann, dieser Kerl ärgerte mich. Was wusste der davon, was uns nach Europa gezogen hatte? Er hatte keine Ahnung
von meiner Kindheit, von meinen Gedanken, von der bloßen Laune, die mich damals nach Berlin verschlagen hatte. Um ein Haar wäre ich in London geblieben, und mein Leben wäre ganz anders verlaufen.
    »Was nun Hieronymus Falk betrifft«, fuhr der Professor fort, »so gehörte dieser einer besonderen Gruppe an. Er war das, was man damals einen ›Rheinlandbastard‹ nannte. Eine der Bedingungen, die dem besiegten Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg auferlegt wurden, war die, dass das Rheinland unter französischer Kontrolle stand.«
    Er beugte sich nach vorn, offenbar, um deutlich zu machen, dass er sich dem Kern seiner Ausführungen näherte. »Nun schickten die Franzosen als Besatzungstruppen hauptsächlich Einheiten aus ihren afrikanischen Kolonien ins Rheinland. Wie sie sich vorstellen können, kam dies bei Teilen der deutschen Bevölkerung nicht gut an. Man nannte die Soldaten ›die schwarze Schmach‹, eine ›schwarze Geißel Deutschlands‹, und Frauen wie Falks Mutter Marianne, die Kinder von solchen Besatzungssoldaten hatten, galten als Prostituierte oder als Opfer von Vergewaltigungen. Selbst als die Franzosen längst abgezogen waren und Hitlers Reichswehr ins Rheinland einmarschiert war, wurden solche Kinder als Schande betrachtet, sie erinnerten an die Beleidigung, die Deutschland angetan worden war.«
    Neue Bilder flimmerten über die Leinwand: Schwarzweiß-Aufnahmen von dunkelhäutigen Soldaten in lässiger Haltung und in verdreckten Uniformen. »Und so etwas nennt man in Frankreich einen Mann!«, sagte die Stimme eines deutschen Kommentators.
    Der Professor redete weiter. »Die verschiedenen Gruppen von Schwarzen im Dritten Reich wurden ganz unterschied
lich behandelt. Der Grund dafür ist hauptsächlich, dass es höchstens viertausend Deutsche afrikanischer Abstammung im ganzen Reich gab. Und weil ihre Zahl so gering war, wurden nie zusammenhängende gesetzliche Regelungen getroffen, die bestimmten, wie im Einzelnen mit Angehörigen dieser Minderheit zu verfahren war. Allerdings wurden die Ausweise vieler dieser Menschen eingezogen, wodurch sie de facto zu Staatenlosen wurden.«
    Das meiste von dem, was er sagte, hatte ich nicht gewusst. Man bleibt nicht stehen, um zurückzuschauen, wenn man auf der Flucht ist, und damals war ich auf der Flucht. Ich hörte zu, skeptisch und unter Schmerzen.
    »Letztlich war Falks Schicksal ungewöhnlich insofern, als er einer von relativ wenigen afrikanischstämmigen Deutschen war, die in Konzentrationslager kamen. Wenn er Afroamerikaner gewesen wäre, hätte man ihn wahrscheinlich wie andere schwarze Musiker, die den Deutschen in Paris in die Hände fielen, in Saint-Denis interniert. Aber Falk war Deutscher – nach den Begriffen der Nazis Staatenloser –, und darum überstellte man ihn nach Mauthausen. Natürlich ist es schwierig, sich ein Bild davon zu machen, wie viele Schwarze tatsächlich in Lagern waren, weil so viele Akten vernichtet wurden.
    Es gab, wie gesagt, keine offiziellen Rassengesetze speziell gegen Schwarze, weswegen diese Personen oft unter frei erfundenen Vorwänden in Lager verschleppt wurden. Einige wurden als Kommunisten interniert, andere als Emigranten (blauer Winkel), als Homosexuelle (rosa), als rückfällige Kriminelle (grün) oder als Asoziale (schwarz). Die Willkür des ganzen Systems trägt ein Übriges dazu bei, die Verhältnisse vollends undurchschaubar zu machen: In der Gruppe der
Asozialen fanden sich neben Obdachlosen auch Zuhälter, Kleinkriminelle, Mörder, Homosexuelle und ›Rassenschänder‹. Es ist aus all diesen Gründen sehr schwierig, heute herauszufinden, wer unter all den Häftlingen dunkelhäutig war. Diese Menschen sind im Schlund der Geschichte für immer verschollen.«

    Auf der Leinwand tauchte so ein kaputter alter Trottel auf, der mürrisch ins Publikum glotzte. Und dann erkannte ich plötzlich erschrocken, dass dieser Kerl ich war.
    Verdammt, das war echt ein Schock. Das haut den stärksten Mann um, wenn er seine eigene Fresse auf der Leinwand sieht. Ich sah aus wie so ein verwittertes Holzhaus, das seit Jahrzehnten nicht mehr gestrichen worden war. Meine Haut war mit Poren übersät, die Wangen eingefallen, die Augen wie trübes Fensterglas, milchig und voller Ungewissheit. Als mein Name eingeblendet wurde, spürte ich, wie das sonderbare dunkle Gefühl

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