Spiels noch einmal
hat. Er nickte mir zu und verschwand.
Unser Betreuer lotste mich und Chip durchs Gewühl im Foyer in den Zuschauerraum. Ich sagte kein Wort, denn dieses Theater war so was von rappelvoll. Jede Reihe bis auf den letzten Platz besetzt mit den verschiedensten Leuten. Die Massen im Foyer waren nur diejenigen, die keine Karten mehr gekriegt hatten. Mein Gott, dachte ich, warum um Himmels willen bin ich hierhergekommen?
Der Betreuer führte Chip zu einem Platz in der ersten Rei
he, wo die VIP s saßen. Setzte ihn wie einen alten Sack Kartoffeln zwischen zwei wildfremde Typen. Dann ging er mit ans andere Ende der Reihe, wies mir meinen Platz an und setzte sich neben mich. Damit hatte ich nicht gerechnet; ich hatte natürlich angenommen, Jones und ich würden nebeneinander sitzen, schließlich waren wir auch als Duo eingeladen worden.
Ich saß da, irgendwie halb bewusstlos, und atmete den schwefligen Geruch der Polster ein, die offenbar frisch gereinigt waren. Überall knarzten und zirpten die Sitze, dass ich mir vorkam, als wäre ich von einem Schwarm Grillen umgeben. Die anderen VIP s waren alle älter als ich, steinerne, strenge Gesichter. Ich kannte keinen von ihnen. Kein Marsalis weit und breit, kein Grappelli. Wo die wohl alle waren?
Kurt Caspars trat auf die Bühne, auf dem Gesicht sein kaltes, ausweichendes Lächeln. »Ich danke Ihnen allen, dass Sie heute Abend gekommen sind«, sagte er. Sein sonderbarer eckiger Akzent erinnerte mich irgendwie an den Großen Fritz. Oh Mann, Fritz, der arme Kerl. Es gab mal eine Zeit, da konnte ich nicht an ihn denken, ohne wütend zu werden. Was für eine saublöde Idee, hierherzukommen.
Es stimmte mich etwas heiterer, als ich bemerkte, dass Caspars’ Hände zitterten. »Zu dem Werk, das wir Ihnen heute vorstellen können«, fuhr er fort, »haben viele Stimmen ihren Beitrag geleistet, es ist das Ergebnis eines Jahre andauernden Prozesses. Hier, an einem Platz, der einmal Horst-Wessel-Platz hieß, veranstalten wir jetzt ein Festival zu Ehren von Hieronymus Falk. Das ist ein Beleg für die Kraft des vereinten Deutschland, eines Volks, das in die Zukunft blickt.«
Mann, die Leute fraßen das wie Zucker. Sie jubelten, klatschten, hauten auf die Armlehnen ihrer knarzenden blauen Sit
ze. Ich schaute finster vor mich hin. Caspars ist einer von denen, die es verstehen, große Worte zu machen, ohne wirklich was zu sagen. Aber der Brustton der Überzeugung ersetzt nicht das Fleisch in der Suppe. Davon kann man nicht abbeißen. Das hab ich sogar als Kind schon gewusst. Ich warf einen Blick hinüber zur anderen Seite, um zu sehen, wie der alte Jones das aufnahm. Sein Gesicht wirkte leer und streng, er blickte starr nach vorn. Ich hätte gern Blickkontakt mit ihm aufgenommen, aber er schaute nicht zu mir rüber.
Dann trat Caspars von der Bühne ab, und eine erwartungsvoll gespannte Stille machte sich breit. Die Lichter gingen aus, das ganze Theater wartete schweigend. Offenbar bemerkte der Betreuer, wie zappelig ich war, denn er lehnte sich zu mir herüber und flüsterte: »Zuerst wird der Film gezeigt, anschließend gehen alle aus Ihrer Reihe nach vorn und beantworten Fragen.«
»Dann hab ich ja noch eine Galgenfrist«, sagte ich.
Der Typ zögerte, ein Schweigen trat ein. Dann lehnte er sich noch einmal herüber und sagte: »Zuerst wird der Film gezeigt, anschließend gehen alle aus unserer Reihe nach vorn und beantworten Fragen.«
Mich fröstelte. Ich hatte wieder dieses komische Gefühl, als würde gleich etwas Schlimmes passieren. Ich spürte ein Brennen im Magen.
Aber dann wurde es hell auf der Leinwand, der Ton fing an zu knistern, das Publikum klatschte. Ich holte langsam Luft. Zwei Stunden, sagte ich mir. Zwei Stunden. Das ist wirklich nicht lang.
Die Art, wie Caspars’ Dokumentation erzählte, war ziemlich verwirrend. Irgendwie redete oft noch die eine Person, wenn
die Kamera schon eine zweite zeigte, und dann redeten beide, während jemand anders auf der Leinwand zu sehen war. Ich weiß nicht so genau. Aber jedes Mal wenn Hieros Bild eingeblendet wurde, sein Gesicht zweieinhalb Meter groß, überlief mich dieser Schauder. Mir war, als schaute ich mir selbst dabei zu, wie ich dieses Foto anschaute, meine Augen weit aufgerissen, die schweißnassen Hände auf den Oberschenkeln. Mein Gott, in dem Moment war alles wieder da, unser ganzes Berliner Leben, die Frauen, mit denen wir rumgemacht, die Clubs, in denen wir gespielt hatten. Und trotzdem war nichts davon richtig .
Dann
Weitere Kostenlose Bücher