Spiels noch einmal
nach vorn und nach hinten warf. Es war Chip C. Jones, ganz aufgelöst vor Schrecken.
»Hold up, jack«, sagte ich zu dem Kofferträger, der mich verwirrt anschaute. Ich wechselte ins Deutsche. »Warten Sie bitte einen Moment.«
Ich ließ ihn stehen, ging zu Chips Auto und klopfte an die Scheibe. Chip fuhr erschrocken herum, dann erkannte er mich, und seine Züge wurden finster. Er ließ die Fensterscheibe herunter.
»Lass mich in Ruhe, Sid. Ich komm alleine zurecht.«
Ich hätte ihm am liebsten mein Gebiss ins Gesicht gespuckt. »Du kommst alleine zurecht? Meine Fresse! Weißt du, wie das aussieht, was du da machst? Mann, siehst du überhaupt irgendwas ?«
»Hau ab«, knurrte er. »Verschwinde.«
Ich schüttelte den Kopf. »Das ist doch der helle Wahnsinn, Mann.«
Die Arme auf das Lenkrad gestützt, glotzte er starr das Armaturenbrett an. »Ich schaff das schon«, murmelte er. »Ich muss bloß da raus auf die Straße, dann komm ich prima alleine zurecht.«
»Klar, du kommst so prima zurecht wie Tante Cecile.«
In seinem Gesicht ging so etwas wie Hoffnung auf. Ich wurde wieder wütend.
»Schau mich nicht so an«, sagte ich. »Ich werd dir ganz bestimmt nicht helfen.«
»Ich hab dich auch nicht drum gebeten.«
»Nein, hast du nicht.«
Ich lehnte da am Fenster und sah ihm zu, wie er mich anschaute. Ich spürte, wie sich ein altes Messer in meinen Eingeweiden umdrehte. »Wenn du mich bitten würdest«, sagte ich, »wenn du mich darum bitten würdest, würde ich dir vielleicht den Gefallen tun.«
»Ich bitte dich nicht um Hilfe.«
»Kannst du überhaupt übers Armaturenbrett sehen? Wär’s nicht besser, du würdest dir ein Telefonbuch zum Draufsitzen besorgen?«
Er sagte nichts. Ich sah ihm zu, wie er vergebens versuchte, den Rückwärtsgang einzulegen.
»Du hast einen mit Gangschaltung genommen? Du bist ja noch verrückter, als ich dachte.«
»Ich bin nicht verrückt, Sid«, schrie er plötzlich. Er sah aus, als würde er gleich wieder zu heulen anfangen.
Ich trat einen Schritt zurück und verschränkte die Arme. »Also los. Wollen wir doch mal sehen, wie du aus dieser Parklücke rauskommst.«
Er sagte nichts, saß nur blinzelnd da. Ein verschrumpelter Greis.
Ich sah, dass Leute vom Hotelpersonal uns durch die Glastüren beobachteten. »Scheißkerl«, sagte ich nach einer Weile und ging um das Auto herum zur Fahrerseite. »Mach Platz da, setz dich auf die andere Seite. Und glaub ja nicht, dass ich
dir helfe; ich kann es bloß nicht mitansehen, wie du ein so schönes Auto zu Schrott fährst.«
Ich öffnete die Tür, ein freundliches Gebimmel ertönte vom Armaturenbrett her, und ein Duft nach sauberem Leder wehte mir entgegen, als ich einstieg. Der Page, meinen Koffer in der Hand, stand immer noch da. Ich ließ das Fenster herunter und gab ihm ein Zeichen, den Koffer herzubringen.
Chip hütete sich, mich anzusehen. Ich schaute zur anderen Straßenseite. Alles schien sich zu beruhigen. Ein schöner, kalter Tag in diesem Land, das mir fremd geworden war. Ich weiß nicht, irgendwie hatten wir beide uns überhaupt nicht verändert.
Dritter Teil: Berlin 1939
1
Glück ist etwas, das man nicht auf Dauer haben kann.
Wir liefen auf der Straße, Paul und ich. Als die Straßenbahn rumpelnd und mit durchdringendem Geläute angefahren kam, stiegen wir ein. Paul beugte sich zu mir runter und zog mich hoch. Die Abendsonne ließ ihn wie Phosphor leuchten, seine blauen Augen, die hellen Fingerknöchel. Es war die letzte Augustwoche, und das Licht strömte satt und sanft wie Wasser durch die Fenster des Straßenbahnwagens.
»Du solltest mehr Sport treiben.« Paul lachte.
Ich nickte keuchend.
Wir stolperten durch den Mittelgang. Der Boden unter unseren Füßen schaukelte und holperte, als die Tram beschleunigte, das Glas der Lampen klirrte leise. Die Mahagonibänke waren warm von der Sonne eines langen Sommertags. Ich hielt die Hand als Schirm über die Augen und schaute hinaus. Die Stadt zog vorbei, als ob es das letzte Mal wäre, wie etwas, das zu Ende ging.
Ich saß da, immer noch außer Atem, und fühlte eine merkwürdige vage Traurigkeit in mir pochen.
Paul war in einer völlig anderen Stimmung. Lächelnd zwinkerte er einem Mädchen auf der Bank gegenüber zu. Sie errötete und schaute auf ihre Füße. Paul hatte Schlag bei den Frauen, mit seinen welligen, blonden Haaren und dem hübschen Schnurrbärtchen sah er mehr wie ein erfolgreicher Filmschauspieler aus als wie der arbeitslose Pianist, der er
in
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