Spiels noch einmal
Das gefiel mir gar nicht.
Wir spielten weiter. Dann plötzlich setzte der Junge sein Instrument ab und schaute nervös ins Dunkel.
»Was ist denn jetzt schon wieder los?«, knurrte ich, aber dann verstummte ich.
Jemand klatschte dort im Saal laut Beifall.
»Ernst?«, rief Paul. Er schob seinen Hocker zurück, stütz
te einen Ellbogen auf die Ecke des Klaviers und hielt die Hand gegen das Licht über die Augen. »Bist du das?«
Ernst trat aus dem Schatten, in der Hand eine Zigarette, die so weit heruntergebrannt war, dass die Glut ihm fast die Finger versengte. Seine schläfrigen Augen wirkten sanft verschleiert. »Herrschaften, macht mal eine Minute Pause. Ich möchte euch jemanden vorstellen.«
Eine Gestalt kam hinter ihm hervor und schlängelte sich zwischen den Tischen durch. Mann, es war sie . Die Tussi mit den kleinen Zähnen. Sie trug diesen hohen Kopfputz und ein nachtblaues Kleid aus einem glatten, glänzenden Stoff, der an ihr herunterfloss wie Wasser. Sie stöckelte auf spitzen Absätzen, hoch und gerade wie eine Birke. Etwas passierte in diesem Moment mit meinem Atem, er verhakte sich in meiner Brust. Nicht dass sie schön gewesen wäre. Ihre Haut hatte so einen komischen gelblichen Ton, wie Hafer. Und sie war spindeldürr, ein kantiger Körper, der wirkte, als bestünde er aus zusammengenagelten Brettern. Ich sah, wie die Knöchel an ihrem Handgelenk hervortraten, als sie ihren Turban zurechtrückte.
»Ihr spielt gar nicht so schlecht«, sagte sie auf Englisch, »für drei Deutsche.«
»Sid ist Amerikaner«, murmelte Ernst.
»Mmm, klar.«
Diese Stimme. Sie war tief, samtweich, und in ihr schwangen all die dunklen Töne meines alten Lebens in Baltimore mit. Ich ertappte mich dabei, wie ich sie anstarrte. Dieser schmale, lange Oberkörper. Diese Pflaumenlippen, die sich spielerisch an den Mundwinkeln hoben. Sogar die knabenhaften Hüften. Sie lächelte, und ihre schiefen Zähnchen wirkten plötzlich sehr sinnlich.
Ernst fasste sie elegant am Ellbogen, um sie nach vorn zu führen. »Meine Herren, das ist Delilah Brown. Sie kommt aus Paris. Ihr müsst sie entschuldigen, sie spricht nicht Deutsch, aber sie hat was mit uns zu bereden.«
Paul strich sich mit dem Finger über seinen dünnen Schnurrbart und musterte mich. »Ich wette, Sid hätte auch einiges mit ihr zu bereden.«
Hiero grinste verschlagen. »In welcher Sprache?«
»In der Sprache der Liebe.«
»Blödmänner. Alle beide.« Ich räusperte mich und stieg von der Bühne. »Miss Brown«, sagte ich, »Sid Griffiths. Das hier ist Paul Butterstein. Und –«
»Hieronymus Falk«, sagte sie, »das weiß ich schon.« Sie starrte den Jungen mit einem wölfischen Blick an. Ihre Augen waren erstaunlich – ein unheimliches blasses Grün, fast durchsichtig.
»Du gefällst ihr.« Paul lächelte den Jungen an.
Hiero schlug die Augen nieder.
Sie wandte sich an Ernst. »Wo sind die anderen? Waren die Hot-Time Swingers nicht immer zu sechst? Das hier sind doch nicht alle?«
Mir wurde ein bisschen warm im Gesicht. So wie sie redete, klang es, als wären wir das Beste vom Besten.
»Wo sind Chip und Fritz?«, fragte Ernst.
Paul zuckte die Achseln. »Fritz hat gesagt, er hat eine Verabredung. Und Chip, na ja, der wird halt irgendwo seinen Rausch ausschlafen. Was will sie, Ernst? Was ist das für eine?«
»Die beiden wollten später noch kommen.« Hieros Stimme zitterte ein bisschen. »Ins Bad.«
»Jetzt setzen Sie sich erst mal«, sagte Ernst. Und dann auf Englisch: »Please sit, sit.« Er zog einen Stuhl heraus, und die
Frau setzte sich an einen der Tische vor der Bühne. »Was können wir Ihnen anbieten? Wir haben leider nur Czech.«
Sie warf einen Blick hinüber zu Paul, der sich an der Bar zu schaffen machte. »Czech?«
Paul kam zurück, in der einen Hand eine dunkle Flasche, in der anderen fünf Schnapsgläser. Er hielt die Flasche gegen das Licht und schüttelte sie. Dann schenkte er jedem von uns einen Fingerbreit ein, stellte die Gläser sacht ab, und schenkte auch für die Frau einen ein.
Sie hob das Glas hoch und musterte stirnrunzelnd die trübe Flüssigkeit. »Das ist nur Spaß, oder? Dieses Zeug trinken Sie?«
Ernst lächelte. »Chip inhaliert es manchmal. Aber normalerweise trinkt man es, ja.«
Ich lächelte und nahm einen Schluck. Es brannte in der Kehle wie Benzin.
Der Junge drehte das Glas in seinen langen Fingern.
»Das Zeug kommt gar nicht aus der Tschechoslowakei«, sagte ich hustend. »Früher haben wir immer gedacht,
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