Spiels noch einmal
Ecke Mace und East 26th. Vor dem Eingang standen versiffte alte Sofas, aus denen der Schaumgummi herausquoll, und es roch nach Speck. Als wir die Stufen hinaufgingen, sagte ich: »Schönes Haus, Charlie.«
Ich wollte ihm zu verstehen geben, dass ich selber schöner wohnte. Aber er hörte keine Ironie oder Herablassung in meiner Stimme. »Danke«, sagte er ganz ernst. »Aber nenn
mich nicht Charlie, so nennt mich kein Mensch. Ich bin Chip.«
»Chip.«
»Und wie heißt du? Oder muss ich raten?«
»Sidney. Sidney Griffiths. Nenn mich Sid.«
In der schummrigen Eingangshalle roch es noch schlimmer nach Speck und nach Schweißfüßen. Chip packte mich am Hemd. »Wenn wir jetzt zu Tante Cecile reingehen, hältst du deine verdammte Klappe, verstanden?«
Ich stand da, ganz schockiert, weil er »verdammt« gesagt hatte.
Er runzelte die Stirn. »Du willst doch Schokolade, oder nicht? Also dann, glotz nicht so dumm und komm mit.«
Chip führte mich vorbei an Räumen, die so mit Sachen vollgestopft waren, dass das Zeug aus den Türen rausquoll. Vorbei an der Küche, die nach Schweineschmalz und etwas Süßem stank, am Wohnzimmer, wo Zeitschriften kreuz und quer rumlagen, an einem Zimmer, in dem Strapse und Strümpfe hingen wie abgestreifte Häute. Schließlich gelangten wir zu einer Tür, die einen Spalt weit offen stand. Ein abgestandener Geruch drang heraus. Mich überkam plötzlich Panik bei dem Gedanken, dass ich etwas essen sollte, das aus diesem widerlich stinkenden Raum kam. Chip schob mich hinein.
Vor den Fenstern hingen Spitzengardinen; die Sonne brannte unbarmherzig ins Zimmer und tauchte alles in helles Licht. Scheiße. Im Bett lag ein Wesen, so uralt, dass es Kain noch persönlich gekannt haben musste. Die Haut war grau wie Asche, das Gesicht so tief eingefallen, dass es wie eine einzige Höhlung wirkte. Die ganze Gestalt kam mir vor wie eine riesige alte Meeresschildkröte.
»Tante Cecile«, rief Chip mit tiefer Stimme und fuchtelte mit den Armen. »Wir sind’s, Arnold und Theodore! Wir wollen dir zum Geburtstag gratulieren!«
Zuerst sah es so aus, als hätte die alte Schachtel der Schlag getroffen vor lauter Schreck. Dann begann sie sich zu regen, ihr Nachthemd knisterte wie Packpapier, und sie setzte sich auf. Ein Ausdruck des Staunens trat in ihr aschegraues Gesicht. »Was für eine Überraschung! Hab ich heute Geburtstag?«
»Ja! Und dieses Jahr sind wir beide gekommen, Arnold und Theodore.«
Ihr Gesicht strahlte. »Arnie und Theo? Mein Gott, ich kann es kaum glauben!«
Mir ging es genauso. Chip sah mich nicht an. »Ja, Arnie und Theo, Arnie und Theo!«, sagte er. »Wir kommen dich besuchen, weil du Geburtstag hast.«
Die Alte lächelte, dass ihr fast das Gebiss rausfiel. »Ja klar, das muss gefeiert werden«, sagte sie. Ihr Akzent hatte sich verändert: Sie sprach jetzt plötzlich wie die Leute in Mississippi. Sie kramte unter ihrem Kissen, zog ein schön geschnitztes Holzkästchen hervor und stellte es auf ihren Schoß. Dann öffnete sie es und nahm einen Schokoriegel und ein Päckchen Chuckles heraus.
»Wir sind heute zu zweit , Tante Cecile«, sagte Chip und deutete auf mich. »Arnie und Theo.«
»Ach ja, natürlich, das hatte ich ganz vergessen.« Sie langte noch einmal in das Kästchen und zog ein paar Waffeln und Hershey’s Kisses hervor. »Beide Jungs sind heute da. Was für eine Überraschung!«
Kaum hatte Tante Cecile die Süßigkeiten vor sich hingelegt, da hatte Chip sich auch schon alles geschnappt. Er drückte
mir die Waffeln und den Schokoriegel in die Hand und machte sich daran, das Übrige zu vertilgen. Mit flinken Fingern wickelte er alles aus und stopfte es sich in den Mund, alles auf einmal. Ich stand ganz verdattert da, meine Süßigkeiten in den Händen. Immer weiter mampfend schnitt er hektisch Grimassen in meine Richtung, offenbar verwundert darüber, dass ich nicht aß.
Ich wollte gehen, aber Chip fasste mich am Arm. Mit dieser merkwürdig tiefen Stimme sagte er: »Wir sind heute zu zweit , Tante Cecile. Arnie und Theo.«
»Ach ja, natürlich, das hatte ich ganz vergessen. Beide Jungs sind heute gekommen. Was für eine Überraschung.« Sie holte noch vier Päckchen Süßigkeiten aus ihrem Zedernholzkistchen. Chip schnappte sie, gab mir zwei und stopfte seinen Anteil in sich hinein.
»Wir müssen jetzt gehen, Tante Cecile. Wir besuchen dich bald wieder.« Er zerrte mich aus dem Zimmer und knallte die Tür zu.
»Was war denn das ?«, zischte ich.
»Psst, leise«,
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