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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
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ich. Aber dann hörte ich meine alte Stimme krächzen: »Ich hätte nie gedacht, dass er mir so etwas antun könnte. Ich dachte, er bringt mir Krawatten mit von seinen Reisen. Er ist mein Freund. Er könnte nie derart gemein sein.«
    »Sid.« Er rieb sich mit seinen dicken Daumen die Augen. Er sah so alt aus, so uralt. »Sid, du weißt doch, wie man so was frisieren kann. Verdammt, ich hab das doch gar nicht so gesagt. Du weißt doch genau, was man beim Schnitt alles manipulieren kann.«
    »Beim Schnitt!«
    »Komm, Sid, überleg doch mal.«
    »Wie stellst du dir das vor? Du kommst hier rein, und alles ist wieder in Butter? Ich müsste dir den Kopf abreißen, verdammte Scheiße.«
    Aber irgendwie ließ meine Wut bereits nach. Chip wirkte so verdammt klein, wie er da saß, seine schmalen Schultern
in dem feinen Anzug nach vorn geschoben, die Knöchel seiner großen, dick geäderten Hände auf dem Tresen.
    »Ich weiß, ich hab mich hinreißen lassen«, sagte er leise. »Aber ich hab es doch nie so gemeint, wie er es jetzt hinstellt, das schwör ich dir. Caspars hat gefragt und immer weiter gefragt, hat mir keine Ruhe gelassen. Ich hab noch viel mehr geredet, jede Menge gute Sachen über dich, bloß kamen die in dem Film nicht vor. Er wusste genau, was er haben wollte, Sid. Und nur das hat er verwendet.«
    Eine Zeit lang schwiegen wir. Die Bedienung kam, Chip zuckte die Achseln, und sie blieb einfach stehen und schaute uns an. Nach einer Minute oder so blies ich meine Backen auf und sagte ihr, sie sollte ihm das Gleiche bringen wie mir. Chip konnte lange nicht so gut deutsch wie ich.
    »Du bist ein Scheißkerl«, sagte ich, aber ohne rechte Wut.
    Er nickte bedrückt. »Ja, das stimmt schon. Ich fühl mich ganz scheußlich.«
    »Du wirst dich noch scheußlicher fühlen. Ich hau mit dem nächsten Flieger von hier ab.«
    Er sah mich an.
    »Mann, schau nicht so.« Ich runzelte finster die Stirn. »Überrascht dich das? Du wirst doch nicht behaupten, dass dich das überrascht.«
    »Na ja, nein. Irgendwie ist es schon klar. Ich meine, ich versteh das natürlich.«
    »Ob du das verstehst oder nicht, interessiert mich einen Dreck.«
    »Allerdings lässt du dir dann Polen entgehen.«
    Ich zischte verbittert, sagte aber nichts.
    »Ich nehm dir das nicht übel.« Er schaute mich hoffnungs
voll an. »Vielleicht überlegst du’s dir ja noch mal – ich hab das Auto schon gemietet.«
    »Das glaubst du doch nicht im Ernst.«
    Er wirkte verwirrt, offenbar wusste er nicht recht, wie er reagieren sollte. Ich stand auf und legte Geld auf den Tresen. »Iss«, sagte ich. »Iss auch meinen Teller leer. Schön sauber rausessen. Keine halben Sachen, man muss alles zu Ende bringen.« Und dann ging ich, um für immer aus seinem Leben zu verschwinden.

    Jedenfalls dachte ich, es wäre für immer.
    Den Rest des Festivals schenkte ich mir. Und weil ich fand, dass Caspars mir etwas schuldete, verbrachte ich den Samstag damit, mich massieren zu lassen und üppige, unverdauliche Mahlzeiten in mich reinzustopfen, alles auf seine Kosten. Am Sonntag kaufte ich in den Läden des Westin Krawatten, Pralinen und Wein, der mir nicht mal schmeckte, und natürlich bezahlte ich das Zeug nicht, sondern gab immer nur meine Zimmernummer an. Mir tat bloß leid, dass ich nicht dabei sein und Kurts Gesicht sehen würde, wenn er die Hotelrechnung kriegte. Chip kam am ersten Tag zweimal zu meiner Tür und klopfte, aber ich machte nicht auf. Danach ließ er es sein.
    Am Montagmorgen sah ich den alten Judas wieder. Als ich aus der Tür meines Zimmers trat, fand ich dort auf dem Flur meinen abgewetzten Koffer stehen. Er war gerade rechtzeitig geliefert worden, dass ich ihn wieder, so wie er war, mit nach Hause nehmen konnte. Ich folgte dem Träger durch die Lobby zum Taxi, das mich zum Flughafen bringen sollte, als der junge Mann den Kopf drehte und stehen blieb. Rechts von uns an der Behrenstraße hatte sich ein kleiner Menschen
auflauf gebildet. Ein fischgrauer Mercedes kroch sehr langsam und merkwürdig ruckelnd vorwärts und wieder zurück – offenbar gesteuert von einem sehr ungeschickten Fahrer, der versuchte, sein Auto aus der Parklücke herauszumanövrieren. Beim Zurückstoßen hätte er um ein Haar ein Taxi gerammt, das eben losfuhr, vorn verfehlte er nur knapp ein Verkehrsschild.
    Und dann sah ich den Mann, der da, so weit vorn, dass er praktisch an der Windschutzscheibe klebte, am Steuer des Mercedes saß und mit ängstlich verkniffenem Gesicht hektische Blicke

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