Spieltage
Spielerberater Fritz Popp im April 2012. Ingolstadt wäre ideal, dachte Juri, ein ruhiger, wohlhabender Klub nur 70 Kilometer von Nürnberg entfernt, von zu Hause. Und Zweite Liga war auch genau die richtige Plattform, um sich wieder stark zu fühlen. In die Zweite Liga dürfe er aber nur gehen, wenn sie ihn dort endlich wieder im defensiven Mittelfeld aufstellten, sagte ihm Herr Höher. In Ingolstadt könne er sicher im Mittelfeld wirken, mutmaßte Herr Popp, die mussten doch froh sein, wenn sie einen Mann wie ihn bekamen. Sie fuhren zu dritt zu einem Vertragsgespräch zu Ingolstadts Sportdirektor Thomas Linke. Ingolstadts Trainer Tomas Oral stieß auch dazu.
Ich möchte auf jeden Fall im defensiven Mittelfeld spielen, sagte Juri. Ich fühle, dass das meine beste Position ist.
Der Sportdirektor und der Trainer hörten aufmerksam zu. Heinz Höher spürte einen Stolz auf Juri, wie er ihn von früher, aus einer anderen Zeit, kannte: Juri, dem es schwerfiel, etwas zu fordern, hatte geradeheraus gesagt, was er wollte. Wenn er erst einmal wieder im defensiven Mittelfeld spielte, würde er es von Ingolstadt zwangsläufig zurück in die Erste Liga schaffen, dachte Heinz Höher.
In der Verhandlungsrunde ging ein wenig der Faden verloren, Fritz Popp fragte den Sportdirektor mehrmals, über das Finanzielle reden wir dann unter vier Augen, oder? Der Sportdirektor gab ihm jedes Mal ein Zeichen zu warten. Dann fing der Sportdirektor irgendwann an, nach anderen Spielern zu fragen, die Popp vertrat. Am Ende zeigte der Sportdirektor Juri und Herrn Höher noch das Stadion. Es war eine Schatzkiste, quadratisch, klein und eng, gänzlich überdacht, die Zuschauer nah an der Außenlinie, viel Stahl und Glas. Die Zweite Bundesliga hatte in den vier Jahren, in denen Juri dort nicht mehr gespielt hatte, einige erstklassige Formen angenommen. Auch die Gehälter waren noch einmal gestiegen, zwischen 12000 und 33000 Euro im Monat für Spieler mit Erstliganiveau, die in der Ersten Liga nicht mehr unterkamen.
Die Basketballer und Leichtathleten jammerten, dass der Fußball alles schluckte, das ganze Geld und die Aufmerksamkeit, sogar im Aktuellen Sportstudio liefen nun siebzig Minuten Fußballbundesliga, darunter zwei Zweitligabegegnungen. Die Sendung dauerte 75 Minuten.
Die wenigsten verstanden die Kausalkette: Das Fernsehen hatte seit Anfang der Neunziger immense Summen in die Fußballübertragungsrechte investiert. Also musste es immer mehr Fußball zeigen, um das Geld wieder halbwegs einzuspielen. Weil fast nur noch Fußball im Fernsehen kam, interessierten sich immer weniger Zuschauer für andere Sportarten.
Das Fernsehen machte die Bundesliga reich und mächtig. Irgendwann diktierte der Fußball dem Fernsehen den Preis und die Regeln. Die Sender konnten sich nicht wehren, sie brauchten Fußball, sie hatten das Publikum doch zur Gier nach Fußball erzogen. Im Vertrag mit der Bundesliga musste das ZDF unterschreiben, im Sportstudio neben allen Bundesligaspielen auch die Samstagsbegegnungen der Zweiten Liga zu zeigen. Niemand im Sportstudio verspürte Enthusiasmus, jede Woche Zweite Liga zu zeigen. Sie hatten keine Wahl.
Die Sendung war im ZDF auf Samstag 23 Uhr verschoben worden. Es schalteten weiterhin 2,5 Millionen ein. Nach dem massiven Einbruch in den Neunzigern durch die Konkurrenz von ran hatte die Sendung ihre Einschaltquote gehalten. Es schien nicht möglich, mit Fußball im Fernsehen danebenzuliegen.
Heinz Höher und Juri Judt fuhren mit einem guten Gefühl aus Ingolstadt zurück nach Nürnberg. Am nächsten Tag rief Ingolstadts Sportdirektor Thomas Linke an. Sie hatten einen Außenverteidiger gesucht, und jetzt wollte Juri Judt offenbar nur im Mittelfeld spielen, das verstanden sie nicht. Und einen Spieler auf der Position konnten sie auch nicht gebrauchen. Er wünsche Juri noch viel Glück bei der Vereinssuche.
Jeden Morgen vor neun ging Heinz Höher mit dem Hund raus, in die Wöhrder Wiese oder zum Marienberg. Der Sommer war früh gekommen, wenn er Glück hatte und Doris ihn nicht erwischte, konnte er kurze Hosen tragen. Die kurzen Hosen machten Doris allergisch, in seinem Alter, beinahe 74.
In der Parkwirtschaft am Marienberg trank er einen Latte macchiato und starrte auf die Bierkrüge der anderen Gäste. Er spürte die Verlockung, die herbe Kühle des Biers in der Kehle, die Entspannung, die der Alkohol durch den ganzen Körper trug. Er zwang sich, den Anblick des verbotenen Biers zu ertragen, bis er den Latte
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