Spieltage
und dann nach kurzer Zeit jäh wegen einer Kleinigkeit ins Abseits gerieten. Es gab viele winzige Gründe, die aus einem tollen Fußballer in Kürze einen mäßig erfolgreichen Profi machten: taktische Fragen, Verletzungen, ein Moment der Schwäche, ein Konkurrent in Form, die Vorliebe des Trainers für einen bestimmten Spielertyp; Glück.
Jeden Sommer gab es Profis wie Andreas Hinkel, der eben noch als Nationalspieler gepriesen wurde und nun nur noch mühsam einen Verein fand. Sie waren erst 23 oder 27, sie dachten: im besten Alter, und mussten sich mit dem eigenen vermeintlichen Scheitern arrangieren. Als Scheitern präsentierten es die Zeitungen stets, als Scheitern empfanden es die Spieler selbst, wenn einer mit Anfang oder Mitte zwanzig seine Rolle in der Bundesliga verlor. Denn sie alle maßen Fußballprofis mit den längst überholten Maßstäben der vormodernen Bundesliga, als ein Stammspieler meist ein Jahrzehnt lang seinen Platz behielt. In Wirklichkeit war es nicht nur logisch, sondern zwangsläufig, dass die moderne Bundesliga jedes Jahr feine Profis ausstieß: Das Fernsehen hatte so viel Geld in Umlauf gebracht, dass die Bundesligavereine bei der kleinsten Schwäche eines Spielers jederzeit einen neuen von irgendwo kaufen konnten. Auch hatte sich dank der Fernsehgelder die Jugendausbildung so professionalisiert, dass jedes Jahr Dutzende hochklassiger 19-Jähriger auf einen Markt drängten, auf dem es samstags um halb vier seit dreißig Jahren unverändert nur 250 Stellen gab.
Heinz Höher hatte es selbst erlebt: Von den Kindern, die er 1999 trainiert hatte, waren vier Profis geworden. Von den Kindern, die er 2006 mit Rudi Theimert genauso engagiert ausgebildet hatte, schaffte es ein Einziger in ein Bundesligareserveteam. Adrian Swiechowitz, der engelsgleiche Dribbler, der doch Profi werden musste, landete in der sechsten Liga. Längst wurden Kinder überall im Land mit dem Aufwand ausgebildet, wie ihn Heinz Höher 1999 auf außergewöhnliche Weise betrieben hatte. Je mehr erstklassige Fußballer großgezogen wurden, desto mehr würden es nie in die Erste Liga schaffen. Das war das Gesetz des Booms.
Das Publikum dachte an Neuer, Lahm, Schweinsteiger, wenn es 2011 Bundesligaprofis vor Augen hatte, aber die Realität für die Mehrheit der Bundesligaspieler war längst eine andere: Bundesligaprofi war nur noch eine Halbkarriere voller Brüche. Zwei bis sieben Jahre konnten sich die meisten auf höchstem Niveau halten, danach hieß es, sich in den verbleibenden sieben bis zwölf Jahren der Karriere irgendwie durchzuwurschteln. Wie in allen Boombranchen hatte sich ein Prekariat gebildet, Profis, die für 1200 Euro in der Dritten Liga spielten, Trainer, die monatelange Arbeitslosigkeit erduldeten, Spielerberater, die keinen Spieler in der Kartei hatten; alle vereint in dieser Hoffnung, die oft einer Verzweiflung glich, es irgendwann irgendwie in die Bundesliga zu schaffen.
Juri blieb ein Jahr, um seinen Status als Bundesligaspieler zu bewahren. Im Juni 2012 würde sein Vertrag in Nürnberg auslaufen. Es brauchte ihm niemand zu sagen, dass er in dem verbleibenden Jahr zumindest wieder die Rolle des Allzweckspielers besetzen musste. Sonst würde er gehen müssen.
Die entscheidende Saison begann im August 2011, Nürnberg gegen Hertha, Hannover, Dortmund, Augsburg. Juri saß jedes Mal auf der Ersatzbank. Er wurde nicht mehr eingewechselt.
Mittags, nach dem Training, legte er sich ins Bett. Im Schlaf nervten ihn nie schlechte Gedanken.
Es war nur dieser fehlende Egoismus, sagte Heinz Höher zu seinem Neurologen, zu dem er wegen der Polyneuropathie kam und mit dem er im Praxiszimmer regelmäßig das Thema Juri behandelte. Jetzt stellen Sie sich mal vor, es sitzen vier Bundesligaspieler nach dem Training im Café zusammen, sagte Heinz Höher: Da macht sich jeder Spieler größer, als er ist, da schimpft jeder Ersatzspieler über den Trainer, den Ahnungslosen, über den Konkurrenten, den Nichtskönner. Nur der Juri würde das nie machen! Der Juri würde nie sagen: Pah, der Chandler, dieser Geradeausläufer, der lässt doch in der Abwehr ständig Löcher zurück.
»Warum sollte ich das sagen?«, fragte Juri, als wir darüber sprachen. »Als Außenverteidiger ist Chandler besser als ich. Ich habe kein Problem, die Realität zu akzeptieren, wie sie ist.«
Im September 2011 spielte Nürnberg gegen Köln, Bremen, Mainz. Juri saß jedes Mal auf der Ersatzbank und wurde nicht eingewechselt.
Doris Höher ertrug die
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