Spieltage
einen hellen Mantel, seinen ewigen Trenchcoat. Heinz Höher hat die Hände in den Manteltaschen vergraben. Alle warten darauf, dass Max Merkel sein Urteil abgibt. Ohne es selbst zu wissen, ist Merkel der Einzige, der ein Interesse daran haben könnte, das Spiel auszutragen. Schalke ist in Form, die jüngsten zwei Partien hat es gewonnen, 3:1 in Duisburg, 5:1 gegen Essen.
»Hier könnten bestenfalls die olympischen Winterspiele fortgesetzt werden«, sagt Merkel. Alle lachen laut. Hört Merkel heraus, dass die anderen nicht nur über seinen Schmäh lachen? Sondern auch aus Erleichterung?
Die Medien werden über die Absage informiert. Heinz Formann, der Sportchef der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung in Bochum, tippt in seine Triumph Adler: »›Schaulaufen kannst du auf dem Platz, nicht Fußball spielen‹, sagte Schalkes Trainer Max Merkel. Womit hoffentlich auch die überzeugt sind, die angenommen hatten, dem VfL sei es daran gelegen gewesen, die Partie zu verschieben. Das Gegenteil war der Fall. Der VfL wollte die Chance nutzen, wenigstens dieses Spiel noch als echtes Heimspiel vor dem Stadionumbau zu nutzen.« So hat es ihm sein Freund, Trainer Heinz Höher, versichert.
Der erste Freitag im April 1976 ist ein herrlich lauer Frühlingsabend. Auf der Bundesautobahn von Bochum nach Dortmund bilden sich 21 Kilometer Stau. Zu einer Zeit, in der das Wort noch gar nicht existiert, ist das Bundesliganachholspiel zwischen dem VfL Bochum und Schalke 04 ein Event. Der Umzug ins Dortmunder Westfalenstadion gibt der Partie etwas Besonderes, Exotisches, ein Gefühl von Pokalfinale. Rainer Holzschuh, der Bochum-Berichterstatter des Kicker, schätzt mit bloßem Auge, dass über 50000 der 54000 Plätze besetzt sind. Das Stadion wäre voll gewesen, wenn alle Fans rechtzeitig dem Stau entkommen wären. Der VfL Bochum nennt 41000 als offizielle Zuschauerzahl. Das Finanzamt muss nicht ganz genau wissen, wie viel Geld man einnahm. Gut 450000 Mark brutto fließen in die Kasse des VfL, so viel wie bei vier gewöhnlichen Heimspielen in Bochum zusammen.
Das Spiel geht 1:4 verloren, und keiner im Bochumer Präsidium kann sich so richtig ärgern. Ottokar Wüst begleitet Heinz Höher in den Presseraum, der in Dortmund ein richtiger Konferenzsaal mit Podium und Stuhlreihen ist, nicht nur ein Zimmer mit hereingeschobenem Tisch und ein paar Stühlen wie in Bochum. Die Reporter lassen sich nicht anmerken, dass sie nicht so recht kapieren, was Wüst meint, als er sagt: »Ich danke Heinz Höher vom Herzen für die Courage, in solch einem schweren Spiel wie gegen Schalke auf das echte Heimrecht in Bochum zu verzichten.« Welche Courage? Das Spiel in Bochum fiel doch einfach wegen Schnee und Eis aus? Heinz Höher lässt Wüsts Dank mit unbewegtem Gesicht über sich ergehen. Er lächelt, wie immer, wenn er sich besonders freut, nach innen.
1963
Mitfahrgelegenheit in die Bundesliga
Morgens fuhr Heinz Höher von Leverkusen nach Köln, setzte sich in ein Kaffeehaus in der Nähe des Doms und wartete, bis es Zeit war, wieder nach Hause zu fahren. Er tat es für seine Mutter. Ihr gehe es besser, sagte er sich, wenn sie weiter glauben konnte, ihr jüngster Sohn studiere an der Hochschule Köln eifrig Sport und Englisch.
Heinz Höher hielt sich für äußerst ehrgeizig. Es war bloß so, dass sein Ehrgeiz außerhalb des Fußballplatzes für die anderen manchmal schwer erkennbar war. Für sein Abitur am Carl-Duisberg-Gymnasium zu Hause in Leverkusen hatte er sich ein großes Ziel gesetzt: es zu bestehen, ohne ein einziges Mal zu lernen. Für die Lehrer blieb Heinz Höher im Abitur deutlich unter seinen Möglichkeiten, mit vielen Befriedigend und Ausreichend im Zeugnis. Aber er war zufrieden. Sein Ziel hatte er erreicht.
Bald, im August 1963, wurde er 25, ein Alter, in dem langsam das Gerede vom ewigen Studenten beginnen würde. Doch er war sich sicher, so wie das Abitur würde er, irgendwie und irgendwann, auch sein Lehramtsstudium bewältigen. Er sah nur im Moment keinen Anlass, zu den Vorlesungen zu erscheinen. Dieser Moment dauerte nun schon zwei Jahre an.
Dafür, dass kein anständiger Mensch morgens um elf im Kaffeehaus saß, war es immer recht gut besucht. Er sah sich die jungen Ehefrauen mit Brigitte Bardots Ponyfransen in ihren Etui-Kleidern ohne Kragen an. Wenn er wegsah, schauten vermutlich sie ihn an. Er hatte die Frisur stets frisch blondiert. Bis vor Kurzem hatte er die Wasserstofflösung noch mit der Zahnbürste auf die Haare aufgetragen.
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