Spieltage
Klubs traten noch immer in fünf regionalen Oberligen an, deren Beste dann jeden Sommer zum Saisonende im K.-o.-System den deutschen Meister ermittelten.
Der Zweite Weltkrieg hatte die Bundesliga zwangsläufig aufgehalten. Was der Gründung der Liga aber auch 17 Jahre nach Kriegsende im Wirtschaftswunderland im Wege stand, waren die deutschen Lieblingsthemen: Geld und Moral.
Aus der tiefen Schuld, die Deutschland im Zweiten Weltkrieg auf sich geladen hatte, war das nationale Streben entstanden, moralisch bloß nichts mehr falsch zu machen. So wurden auch apolitische Entscheidungen wie die Bundesligagründung unter das Diktat der Moral gestellt. Die Männer aus der Torstangenzeit hießen die Mahner gegen die Bundesliga. Man würde den hehren Sport durch die Einführung des Profitums unkontrolliert in die materialistische Verdorbenheit führen, zeterten sie und schwärmten von der Zeit, als die Sportler noch ihre Torstangen selbst aufgestellt hatten. »Es lächert mich«, sagte Herberger, »wenn Veteranen, die Torstangen auf die Plätze trugen, wie eitle Pfauen ihren Idealismus herausstreichen. Sie haben Stangen hingetragen, weil es sonst niemand für sie tat. Und Geld haben sie keines genommen, weil keines da war. So einfach ist das.«
Doch auch in den Vereinen und Regionalverbänden, wo jeder Herbergers sportliche Dringlichkeiten verstand, sperrten sich viele gegen die Eliteliga. Denn werde mit der neuen Liga Fußball zum Beruf, müssten die Klubs selbstverständlich wie jede Firma Gewerbesteuern, Kranken- und Rentenversicherungen begleichen, hatte das Bundesfinanzministerium angekündigt. So scheiterten zwischen 1955 und 1960 mehrere Initiativen an den Spitzenvereinen selbst, die eigentlich eine Bundesliga wollten, aber bitte nicht dafür bezahlen.
Angesichts all dieser Bedenken wurde die Bundesliga am 28. Juli 1962 auf dem Verbandstag des Deutschen Fußball-Bundes mit überwältigender Mehrheit als verdruckster Kompromiss geboren. Ab August 1963 würde die landesweite Liga starten, aber nicht mit Vollprofis, sondern mit Lizenzspielern. Diese seien etwas ganz anderes als Profis, behaupteten die Bundesligaväter, nämlich nur ein bisschen Berufsfußballer. Um dies zu untermauern, wurde das Gehalt der Bundesligalizenzspieler vom DFB-Verbandstag auf höchstens 1200 Mark beschränkt. An Ablöse durften allenfalls 50000 Mark pro Spieler entrichtet werden, und kein Verein durfte mehr als drei Fußballer von anderen Klubs anwerben.
Auf diese Weise verhindere man solchen Wahnsinn wie in Italien, wo gerade der FC Modena dem deutschen Nationalspieler Albert Brülls ein Jahresgehalt von 150000 Mark geboten habe, erklärten die Vereinsvertreter stolz der moralischen Republik. So überzeuge man das Finanzministerium, sie weiter in Ruhe zu lassen, hofften sie.
Heinz Höher verstand die neue Regelung so, dass den Fußballspielern in der Bundesliga deutlich höhere offizielle Gehälter gezahlt würden und dass demnach sicher auch noch deutlich bessere Schwarzgeldzahlungen als bisher draufgelegt würden.
Es gab nur ein Problem: Bayer 04 Leverkusen würde sich nicht für die Bundesliga qualifizieren. Das ließ sich schon acht Monate vor dem Start absehen. 44 Vereine bewarben sich um die 16 Plätze. Leverkusen fehlten entscheidende Qualifikationspunkte, weil sie bis Juni 1962 nur in der Regionalliga, der zweiten Liga des alten Systems, gespielt hatten. Heinz Höher sagte sich, er werde bleiben und dann eben mit Bayer 04 den Aufstieg im nächsten Jahr versuchen. Und manchmal glaubte er sich auch.
Er war fast 25. In dem Alter unternahm man keine Abenteuer mehr. Realistisch betrachtet, hatte er vielleicht noch fünf Jahre als erstklassiger Fußballer vor sich. Über 30 spielten nur noch die Glücklichen und Weisen.
Mit 20 hätte er den Verein wechseln können. Beim Spiel zur Einweihung des neuen Bayer-Stadions an der Bismarckstraße hatte er Panik in der Abwehr des 1. FC Kaiserslautern gesät, und um sich für den feinen Auftritt selbst zu belohnen, suchte er nach dem Schlusspfiff die Nähe von Kaiserslauterns Weltmeister Fritz Walter. So, wie er aufgespielt hatte, konnte er den großen Fritz einmal im Leben von Star zu Star ansprechen. Vielleicht würde ihm Fritz Walter sogar ein Kompliment schenken.
Willst du nicht zu uns kommen?, fragte der Fritz.
Heinz Höher glaubte, er schwebe.
Diese Anfrage von Fritz Walter war eine der höchsten Auszeichnung seiner Karriere. Aber Heinz Höher wäre nicht darauf gekommen, Walters
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