Spieltage
in dieser Saison aufgenommen werden, wir uns sehr rasch in die Spitzenklasse hineinspielen würden.
Ich empfehle, daß wir in einigen Wochen, sobald die Lage sich geklärt hat, die Verbindung wieder aufnehmen.
Mit sportlichen Grüßen,
Wilhelm Neudecker
Heinz Höher ging es gleich etwas besser. Anderswo schätzte man ihn noch. Aber Neudecker hatte recht. Es war fraglich, ob der FC Bayern in die Bundesliga aufgenommen würde. Wie man hörte, sollte keine Stadt mehr als einen Platz erhalten, und die stärkere Mannschaft in München war der TSV 1860. Heinz Höher wollte sehen, ob er nicht doch noch etwas Besseres als die Bayern fand.
Ein Gegenspieler vom Wuppertaler SV hatte ihm in der vergangenen Sommerpause zugeredet, zu ihnen zu wechseln. Erich Ribbeck hieß er. Er konnte doch einmal vorbeischauen. Heinz Höher fuhr als Zuschauer zum Training nach Wuppertal. Nach kurzer Zeit überlegte er, wie er wieder unauffällig verschwinden könnte. Trainer Zapf Gebhardt ließ die Spieler Runden laufen. Mit Medizinbällen unter den Armen. In welchem Jahrzehnt lebte der denn noch?
Sechs Monate vor Beginn der Bundesliga war die Vereinssuche für Heinz Höher ein aufregender Zeitvertreib, den er exzellent während seiner Scheinbesuche an der Hochschule Köln erledigen konnte. Er saß im Kaffeehaus am Dom, studierte den Kicker oder das Sport-Magazin und überlegte sich, welcher Klub einen dribbelstarken, passsicheren Halbstürmer wie ihn gebrauchen könnte. Es hatte geschneit im Bergischen Land, das Training ruhte weitgehend, das gab ihm das Gefühl, der Sommer, die Bundesliga, sei noch weit weg.
Der Schnee war eine Sensation. Schnee im Bergischen Land, wann gab es das schon einmal? Die unschuldige Schönheit der weißen Haut über den Feldern machte die Leute verrückt. Sie mussten raus, den Schnee spüren. Komm, wir gehen Skifahren, sagte seine Schwägerin Ruth. Heinz Höher war sofort dabei. Auch wenn er weder Ski besaß noch Ski fahren konnte.
Bei Heinz Wachtmeister stand noch ein altes Paar im Keller. Wachtmeisters Eltern führten die Konditorei am Ebertplatz, das Kellerlokal darunter hatte man sie gezwungen mitzumieten, als sie nach dem Krieg aus Soest nach Leverkusen gezogen waren. Sie ließen nicht erkennen, wie gekränkt sie waren, dass man ihnen, etablierten Konditormeistern, eine Bierkneipe aufzwang. Die Kneipe wurde ihr großes Glück. Eine Konditorei hatte es schwer in Leverkusen. Die wenigen Bürger, die genug auf sich hielten, um bei Kaffee und Kuchen in einer Konditorei die Weltlage zu erörtern, hielten gleich so viel auf sich, dass sie dafür nach Köln fuhren. Die Schatzkammer dagegen, wie Wachtmeisters Vater das Kellerlokal taufte, brummte.
Der Rauch biss beim Betreten der Kneipe in den Augen. Skatspieler kniffen die Augen zusammen, wenn sie an der Zigarette saugten, ohne die Hände zu benutzen. Die Hände brauchten sie, um einen Trumpf auf den Tisch zu donnern. An der Bar hing grundsätzlich Mäc Scheller, Reporter des Westdeutschen Rundfunks. Er hatte Heinz Höher darüber aufgeklärt, dass Bier bestens geeignet war, um nach ausgiebigem Schnapsgenuss auszunüchtern. Jetzt trinke ich mich erst mal am Bier wieder nüchtern, sagte Mäc Scheller, der 70 kleine Bier hinunterkippen konnte, wenn er sich besonders schwertat, wieder nüchtern zu werden.
Der Konditorsohn Heinz Wachtmeister gehörte zu jenen jungen Leuten in Leverkusen, die keine Zuschauer mehr waren, sondern, wie sie es nannten, Fans. Mit einem guten Dutzend junger Männer reiste Wachtmeister sogar zu Bayers Auswärtspartien. »Bravo, Heinrich!«, skandierten sie nach seinen Zuckerpässen, Heinz Höher schaute dann erstaunt auf. Wer rief ihn?
Er lieh sich Wachtmeisters Ski. Sie waren aus Holz, dem Anblick nach seit mindestens 15 Jahren unbenutzt. Die Bindungen wurden mit Lederriemen geschlossen. Auch wenn die Hügel des Sauerlands näher lagen, bestanden sein Bruder Manfred und dessen Frau Ruth darauf, bis in den Westerwald zu fahren. Wenn man schon einmal einen Ausflug unternahm, dann richtig.
Nach anderthalb Stunden erreichten sie den Höllkopf. Aus den Bäumen tropfte es. Der Schnee klebte weich und wässrig an den Schuhen. Auf der Piste, kaum 300 Meter lang, schimmerten ein paar braungrüne Grasflecken.
Aber sie waren so weit gereist. Jetzt versuchten sie es einfach einmal.
Heinz Höher kam 50 Meter weit, vielleicht auch 150, er konnte nicht exakt unterscheiden, wann er noch schwankend fuhr, wann er bereits den Hang hinunterpurzelte.
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