Spieltage
Auf jeden Fall konnte er nicht mehr aufstehen, als er zum Liegen kam.
Er habe Glück, sagte ihm der Arzt, die Bänder im rechten Knie seien nur überdehnt, nicht gerissen. Doch als Heinz Höher drei Wochen später bei Bayer Leverkusen wieder ins Training einstieg, wünschte er sich, die Bänder wären gerissen. Dann hätte er sich richtig auskurieren können. Das musste besser sein, als mit diesem Gefühl Fußball zu spielen, irgendetwas stimmte nicht.
Sein Antritt war weg. Schnell im Fußball zu sein bedeutete nicht, über 100 Meter schnell rennen zu können, sondern im Bruchteil einer Sekunde explosiv zu starten. Wer in diesem Moment schneller als der Gegner am Ball war oder den Ball passte, gewann.
Heinz Höher trainierte nach seinem Skiunfall wie besessen, um den Antritt wiederzufinden. Er liebte hartes Training; das Gefühl danach, alles getan zu haben, um nun ohne schlechtes Gewissen zwei Bier und einen Klaren trinken zu können.
Im Keller hatte er einen Punchingball. Er erschien zwar kaum noch zum Sportstudium in Köln, die Ideen aus der Trainingslehre anderer Sportarten aber hatte er sich in den ersten Semestern abgeschaut. Seine Fäuste trommelten auf den Punchingball, seine Füße tänzelten um ihn herum, die Vorstellung, ein Boxer zu sein, beschwingte ihn. Beim Fußball hatte er immer Angst, wenn er ohne Ball war. Hatte er den Ball, fürchtete er niemanden auf der Welt, dann dribbelte er schnurstracks auf die härtesten Verteidiger zu, er fühlte sich ihnen überlegen. Ohne Ball jedoch, wenn er einen Gegner angreifen sollte, überfiel ihn immer die Angst, er würde sich im Zweikampf wehtun.
Er kam körperlich mächtig in Form. Aber sein Antritt blieb weg. Oder bildete er es sich nur ein? In den Berichten des Kicker zu Leverkusens Oberligaspielen tauchte er quasi nur noch in der Mannschaftsaufstellung auf. Wie sollte ein Verein auf ihn aufmerksam werden, wenn er nie in der Zeitung stand?
Heinz Höher hörte, dass Bayer Leverkusens alter Trainer Raymond Schwab einen neuen Beruf hatte. So neu war die Beschäftigung in Deutschland, dass es dafür noch kein Wort gab. »Fußballmakler« taufte Die Zeit Schwab, als sie ihre gebildeten Leser in einem 200 Zeilen langen Aufklärungsbericht über die jüngste Absonderlichkeit des modernen Sports unterrichtete. Drei Männer gebe es mittlerweile in Deutschland, die ihr Geld als Fußballmakler verdienten.
»Wie geht Ihre Tätigkeit vor sich?«, fragte Die Zeit Schwab.
»Ich vermittle Fußballspielern Vereine und Fußballvereinen Spieler.«
»Haben Sie viel zu tun?«
»Mein Telefon klingelt den ganzen Tag.«
»Ist das ein gutes Geschäft?«
»Wenn ein Vertrag zustande kommt, erhalte ich eine bescheidene Provision. Ich habe hohe Unkosten.«
Raymond Schwab, die schwarzen Haare, wie es sich gehörte, ordentlich mit Wasser zurückgekämmt, hatte sich nach dem Krieg als Boxkampf-Promoter versucht. Vom Boxveranstalter zum Fußballspitzentrainer war es damals nicht so weit. Von einem Sportlehrer wurde verlangt, dass er alle Sparten beherrschte, und Schwabs großes Talent war universell einsetzbar. Er konnte den Leuten etwas erzählen. 1951, als Trainer in Leverkusen, hatte er schon eine innovative Aufstiegsprämie ausgehandelt: Falls er Bayer 04 in die Oberliga führte, würde ein Benefizspiel ausgetragen, den Gegner bestimme er, und die Einnahmen behalte auch er. Leverkusen stieg auf, trug ein Benefizspiel gegen Schalke 04 aus, Schwab strich wohl 5000 Mark ein, das Geld eines halben Jahres, und kündigte.
Wenig später gründete Schwab einen neuen Exporthandel: deutsche Fußballer für Italien. Bereits 1952 vermittelte er Karl-Heinz Spikofski nach Catania und Horst Buhtz zum AC Turin.
»Menschenhandel« sei das, zürnte Bundestrainer Herberger. Für Heinz Höher war es ein Glücksfall. Innerhalb weniger Wochen fand Schwab einen interessierten Verein für ihn, den VfB Stuttgart. Man musste allerdings nicht ausdrücklich Fußballmakler sein, um Fußballer zu vermitteln, man konnte auch einfach abends nach der Arbeit im Sport-Magazin die interessanten Spieler mit einem Stift markieren und sich an die Schreibmaschine setzen. »Sehr geehrter Herr Höher«, schrieb ein Hans-Günther Wolf aus Saarbrücken und beließ es, einem Makler wohl angemessen, bei eleganten Andeutungen: »Ich stehe in naher Verbindung zu einem Saarbrücker Verein, der sich für einige Spieler interessiert. Ich frage hierdurch bei Ihnen an, ob Sie eventuell an einem Wechsel nach hier Interesse
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