Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall
Mobiltelefon spielte den Titelsong eines Horrorfilms.
»Marnie! Mach, dass du aus der Wohnung verschwindest!« Keine Antwort. »Werdet ihr bedroht?«
Keine Antwort.
Stimmengewirr im Hintergrund.
»Marnie!«, rief Wiener hysterisch.
»Psssst! Sei mal still!«, zischte Nachtigall.
Die Freisprechanlage gab sich redlich Mühe, aus den Geräuschen Worte zu generieren, die zu unterscheiden waren.
»Jetzt lasst uns einfach gemütlich einen Tee trinken! Grüner Tee, Apfeltee, Orange-Ingwer, Brombeere?«
Kiri murmelte etwas Unverständliches. Es klang ausgesprochen schlecht gelaunt.
»Kiri spielt nämlich auch Fußball!« Diese stolzen Worte waren eindeutig an den Gast gerichtet. »Manchmal nimmt sie den Sport ein wenig zu wichtig. Also, welchen Tee soll ich nehmen?«
Schnell wurde man sich einig. Orange-Ingwer.
»Lass mal, ich setz schnell das Wasser auf«, erbot sich Kiri, deren eilige Schritte im Hintergrund zu hören waren.
»Frauenfußball. Ist ja der reinste Modesport im Moment.«
»Das ist Frau Winter!«, hauchte Nachtigall. »Eindeutig!«
»Kein Wunder. Die Mädels haben doch bei der EM einfach fantastisch gespielt. Die U20-WM gewonnen, den Pokal geholt. Und sie sehen auch gut aus.« Kiri war wieder aus der Küche zurück.
»Wenn der Erfolg passt, haben auch immer mehr junge Mädchen Lust auf diesen Sport. Bisher haftete dem Fußball ja immer Bierdunst und Gewaltbereitschaft an – damit ist es vorbei, seit die Frauen gezeigt haben, dass es auch anders geht. Alkoholisierte, prügelnde und randalierende Fans müssen nicht sein«, war Frau Schybulla zu hören.
»Ach ja? Damals, als Steffi Graf noch erfolgreich Tennis gespielt hat, war das auch so. Auf einmal wollten alle kleinen Mädchen weiße Röckchen tragen und ein Racket zum Geburtstag bekommen. Aber es ist eben wie in jedem Sport – der Alltag sieht ganz anders aus, als man sich das vorstellt. Der Ruhm stellt sich nicht über Nacht ein.«
Frau Winter sprach leise, war kaum zu verstehen.
»Wenn es jetzt ihr erster Mord wäre – aber das ist es ja nicht. Sie weiß genau, was sie tut. Mit den anderen Morden ist sie ungeschoren davongekommen – warum sollte das diesmal anders sein. Diese Frau ist sehr gefährlich«, ließ sich Mangold aus dem Fond vernehmen.
»Sie hat ohnehin nichts mehr zu verlieren. Ich glaube, sie will noch so viele in den Tod mitnehmen wie möglich«, stellte Nachtigall nüchtern fest.
»Und Marnie?«, keuchte Wiener entgeistert.
Dann trat er das Gaspedal bis zum Anschlag durch.
»Es ist doch schön, wenn junge Leute Spaß am Sport entwickeln. Gerade heute, wo so viele nur noch am Computer spielen und sich kaum noch bewegen«, widersprach Frau Schybulla.
Geschirrgeklapper bewies, dass der Tisch gedeckt wurde.
»Es geht doch nicht um Spaß«, behauptete Frau Winter entschieden. »Es geht um Leistung. Damals wie heute.«
»Aber das gehört doch zusammen!«
Wiener zuckte zusammen. Das war Marnie!
»Wenn ich professionell Sport treibe, möchte ich doch auch so gut wie nur möglich darin sein. Sonst würde es ja reichen, mich nur fit zu halten.«
Entsetzt registrierten die drei Ermittler im Auto, dass Marnie versuchte, die Diskussion anzuheizen. Typisch, dachte Nachtigall, sie ist ja mit einem Kriminalkommissar verbandelt, das färbt ab. Aber eine gute Idee war das nicht! Gar nicht. Das sah auch Michael Wiener so.
Der Wagen schlingerte um die nächste Kurve, hätte um ein Haar eine Fußgängerin vom Bürgersteig gepflückt und sauste in halsbrecherischem Tempo weiter.
Nachtigall versuchte, über Funk die Streife vor dem Wohnhaus der Schybullas zu erreichen.
»Wir stehen da nicht mehr!«
»Wieso nicht?«, brauste der Cottbuser Hauptkommissar auf.
»Na, die vermisste Person ist doch aufgetaucht. Und sie hat sogar Besuch mitgebracht. Auch die Sache mit dem Handy hatte sich geklärt – der Akku war leer gewesen, deshalb war sie nicht erreichbar. Was sollten wir da noch? Die Leitstelle hat uns zu einem Überfall auf ein Bekleidungsgeschäft in der Sprem geschickt.«
»Aha. Und dort sind Sie jetzt noch immer?«
»Ja. Und den jungen Kerl haben wir geschnappt«, triumphierte der Kollege.
Nachtigall gratulierte freundlich – im Endeffekt konnte der Beamte nichts dafür, dass man ihn zu einem anderen Einsatz geschickt hatte – und rief zornig die Einsatzzentrale an.
»Die Gefahr geht vom Zuschauer aus«, belehrte Frau Winter die junge Frau. »Sobald Publikum im Spiel ist, kommen auch die Medien.
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