Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall
damaligen Clique tötete Manuela – dann wäre es doch denkbar, dass der Tod des Täters ein Racheakt war.«
»Suizid!«, rief Wiener. »Das kannst du nicht ausschließen! Ich frage mich nur, wie die Mutter behaupten kann der Mörder ihrer Tochter sei tot, wenn es noch nicht einmal einen Mordfall gegeben hat.«
Mangold schimpfte: »Das ergibt doch alles keinen Sinn. Und jetzt auch noch eine Mutter, die sich nur einredet, ihre Tochter sei ermordet worden. Kennt man ja! Vielleicht hat sie irgendwelche Schuldgefühle und nun tischlert sie sich eine für sie selbst erträglichere Geschichte zusammen, die mit der Wahrheit nur wenig zu tun hat. Hier passt gar nichts mehr zusammen Roland Keiser war das erste Opfer – und der ist vor 20 Jahren gestorben, Manuela Winter aber erst vor ein paar Wochen!«
»Ha! Es gibt eine Patientenakte bei Kowalski. Manuela Winter«, triumphierte Wiener.
»Unsere Manuela Winter?«
»Ich check das gerade.«
»Warum erzählt dir die Mutter, ihre Tochter sei schon vor vielen Jahren gestorben, wenn es erst wenige Wochen her ist? So was verwechselt man doch nicht«, brummte Mangold.
»Ach so! Das wollte ich dir ja schon längst erzählen: Manuelas Bruder ist auch tot. Und der Junge starb schon vor zehn Jahren. Unfall. Beim Wandern. Er starb noch an der Unfallstelle«, rief Wiener aus dem Nebenzimmer.
»Beide Kinder tot. Wie entsetzlich für die Eltern«, meinte Nachtigall empathisch.
»Wenn Manuelas Mörder auch tot ist, kommt doch wohl eher Schaber als Täter infrage«, mischte sich Mangold wieder in die Diskussion ein. »Der Mord an ihm fand nach Manuelas Tod statt.«
»Der an Patricia Klever auch«, wandte Nachtigall ein. »Sowie der an Wladimir Kowalski. Und nun halten wir Frau Schybulla für gefährdet. Das passt nicht!«
»So, ich hab’s. Also ich glaub scho’, es isch unsere Manuela Winter. Geburtsdatum, Adresse, alles stimmt.« Michael Wiener kam mit einer Akte unter dem Arm aus dem Nachbarbüro.
»Diagnose?«
»Depression. Katatonie. Im Behandlungsbericht steht, Kowalski habe zwar durch manuelle Therapie ihre Verspannungen etwas lösen können, aber wegen der Schwere der Grunderkrankung sei die Behandlung schwierig, die Patientin nicht kooperativ. Was der hier alles auflistet! Mann! Klingt, als habe sich Manuela Winter in einem schlechtem Zustand befunden.«
»Depression!« Nachtigall schob seinen Stuhl zurück, trat ans Fenster und sah auf die Straße hinaus. Volkskrankheit. Ursachen gab es unzählige. Manchmal bedurfte es keines äußeren Anlasses, aber meist gab es einen Auslöser. Was mochte es im Fall von Manuela gewesen sein? Katatonie, das bedeutete, dass sie auf Reize nicht mehr reagierte, das gesamte Leben rauschte vorbei.
»Steht etwas zur Todesursache in der Akte?«, erkundigte er sich und dachte an den Mordvorwurf. Ein unklarer Sturz?
»Nein. Gar nichts. Vielleicht wusste Kowalski gar nicht, dass er diese Patientin nie mehr wiedersehen würde.«
»Trotzdem bleibt es unverständlich, wie sich die Mutter beim Todesdatum so irren konnte«, insistierte Mangold. Er trat neben Nachtigall, der inzwischen am Flipchart stand, und griff nach dem Filzstift. »Angenommen, Manuela Winter – nein – «, verwarf er seinen Ansatz sofort wieder. »Ist ja Quatsch. Sie hatte ja einen festen Freund damals, nicht wahr? Die Mutter hat dir das doch erzählt.«
»Eltern kennen nie die Wahrheit über ihre pubertären Kinder«, stellte Nachtigall klar. »Alles, was sie uns erzählt hat, kann falsch gewesen sein.«
»Ach komm! Glaubst du das wirklich?«
Peter Nachtigall starrte auf das Flipchart. Seine Augen wanderten von einem Namen zum anderen und wieder zurück. Dann schlug er sich kraftvoll die Hand gegen die Stirn. »Oh, ich Idiot! Die ganze Zeit hätte ich es schon sehen müssen! Wie kann man nur so vernagelt sein. Los, komm, wir gehen jemanden besuchen!«
Ratlos hastete Mangold ihm über den langen Gang nach und fragte sich, was dem Kollegen eigentlich so plötzlich aufgefallen war.
Ronny Zobel war wenig erfreut und machte aus seinem Herzen keine Mördergrube. Er saß in seinem ausgeräumten Wohnzimmer auf einer Bücherkiste und signalisierte schlechte Laune. »Roland? Das habe ich Ihnen doch schon erzählt. Nein, er war kein Kind von Traurigkeit, wirklich nicht. Die Weiber haben sich ihm angeboten wie Freibier und er hat zugegriffen. Ein Spiel – von beiden Seiten. Harmlos.«
»Das stimmt nicht, Herr Zobel. Einmal war es ernst, nicht
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